Von der Faulheit

Von der Faulheit

Im Filmvorführerforum schrieb Matthias gestern einen wunderbaren, philosophischen Abriss zur Daseinsberechtigung analoger Medien:

Es ist doch nicht nur die Technik allein, es ist auch das Flair, die Atmosphäre, oder?

Einige Beispiele, auch wenn sie vom Film selbst etwas abweichen.
Nehmen wir die Schallplatte oder die Audiotechnik selbst. Jede Richtung erzeugt automatisch eine Gegenrichtung. Zum Beispiel die Audioszene in Japan, dem Land des absoluten High Tech.
Dort bauen Japaner nicht einfach nur Röhrenverstärker selbst, nein es kommt noch härter. Es müssen Trioden aus den 30er Jahren sein, keine Röhren aus den 50ern. Man lötet auch nicht mit Neoprendraht, nein stoffumsponnene Drähte müssen es sein. Kondensatoren werden nicht gekauft, sondern selbst gewickelt. So weit würde ich selbst nie gehen, aber diese Menschen haben Freude daran. Ich habe einen Freund, der eine Riesensammlung aller alten Elektronenröhren hat, die es wohl je gegeben hat. Er sitzt selbst jeden Abend da und lötet. Er sagte zu mir: Du, wenn Du die Rauschwerte betrachtest, das kann heute jeder Conrad-Chip besser, aber das Flair, der Hörgenuß einer Schaltung die „lebt“, das Glühen der Röhren, das ganze Drum Herum, das ist es. Da hat man an Hornlautsprechern Spaß, und nicht an 5.1-Surround-Anlagen.

So bin auch ich zum Schmalfilm gekommen. Mein Onkel hatte eine Leinwand, die immer von selbst wieder zusammen klappte und daher mit einem 40cm Holzlineal gestützt werden musste. Der Projektor, ein WEIMAR 3, hatte diese Riesenglimmlampe mit der man die Geschwindigkeit per Stroposkopeffekt einstellen konnte. Damit haben wir als Kinder Filme von uns selbst angeschaut und auch Trickfilme, „nur“ in SW, aber der Spaß war groß! Wenn der Film rückwärts lief und wir die Geburtstagstorte wieder ausgespuckt und ganz sauber auf dem Teller zusammengefügt haben… Ja, natürlich kann ich das mit einem DVD Player heute auch, sogar ohne Streß nur per Tastendruck… aber es ist nicht das Gleiche.

Auch ich arbeite beruflich mit hochmodernen, professionellen HD-Kameras. Ja, diese Bilder beeindrucken in ihrer Auflösung, sind clean und crisp. Da frage ich mich auch manchmal: Warum gebe ich so viel Geld aus für Filmmaterial aus, dass dann auch noch körnig ist und bei der Projektion ein leicht wackliges Bild erzeugt? Ja, Leute, ich habe einen Knall, aber ich kann es nicht ändern, ich mag auch das andere, auch in Schwarz-Weiß. Das geht mir mit der Photographie genauso. Da quäle ich mich mit 100 ASA herum, benutze einen Dreifach-Blitz, und der anderer erledigt das mit 8000 ISO, ohne Blitz, und die Speicherkarte kann man löschen. Bei einer Session mache ich 36, höchstens mal 72 Bilder und der andere knallt so locker 300-400 Bilder weg. (Oder waren es gar 3000?)

Alles nur Mist oder Spleen? Nein! Der andere hat es nicht einfacher als ich. Ich habe bewußt auf den Auslöser gedrückt, er nur „einfach so“. Ich muß aus 72 Bildern wählen, er muß sich durch 3000 Bilder quälen. Von der Nachbearbeitung reden wir lieber gar nicht erst. Ich sage nur „Vollautomatik“, und jeder weiß was ich meine.

Es stimmt, Schmalfilm liefert keinen 5.1-Surround-Sound. Auch die bildliche Qualität ist nicht mehr über den anderen Medien. Als ich jetzt allerdings mal Velvia auf DS 8 eingescannt habe, mußte ich sagen: Soooo schlecht ist die Qualität nun auch wieder nicht! Von 9,5 oder 16mm rede ich gar nicht erst.
Was fasziniert mich nun noch an Vorgestern? Ich habe ein Medium, das ich anfassen kann und ich habe es als Hardware vor mir. Egal wie alt mein Projektor ist, so lange es noch Strom aus der Steckdose gibt und eine Lampe zum Auswechseln, bin ich dabei. Und wie ist es mit dem anderen Kram? Wenn man Lust hat, zieht man es ja noch von der Karte auf den PC, wenn. Ansonsten wirds gelöscht und ist weg. Ist es dann auf dem PC, verschwindet es in irgend einem Ordner, den man oft nicht wiederfindet. Sind die Aufnahmen „wertvoll“, wandern sie wenigstens noch auf einen externen Datenträger. Wenn nicht – nach dem nächsten PC Crash oder bei einem neuen Gerät sind die Daten einfach nur noch Geschichte, sonst nichts. Wenn man sie dann doch noch irgendwann wiederfinden sollte… mal kurz auf dem PC Monitor angesehen, Fernsehen oder Beamer ist ja schon sooo anstrengend und sooo umständlich. Das war es dann auch. Ja und was bleibt dann von der ach so guten Qualität?

Leute, es ist unsere Faulheit, unsere Dummheit und unsere Bequemlichkeit.
Warum? Schaut doch einfach mal nur auf unsere Autos. Früher haben wir selbst nach dem Ölstand geschaut, nach Kühlwasser usw. Was machen wir heute? Wir warten, bis eine rote Lampe blinkt oder das dämliche Auto gar mit uns redet. Früher haben wir Karten studiert, uns eine Route eingeprägt – und heute schimpfen wir über das dumme Navi. Nein, nicht das Navi ist dumm, wir sind blöd. Früher hatten wir einen Terminplaner, heute muss das dusselige Handy das erledigen, einschließlich Weckruf am Morgen, Wecker sind ja out. Na, und wenn das doofe Ding nicht mehr will, geht die Welt unter. Wirklich? Früher haben wir gezielt nach Wissen gesucht, Bücher studiert usw.
Heute wird gegoogelt und Wikipedia weiß ja eh immer alles besser, stimmt das?

Leute, nicht die Technik ist das Problem, wir sind das Problem. Wir verdummen, verblöden, vergreisen, werden bequem, faul und nachlässig… und wir finden es auch noch toll, es ist ja so schön.

Als es noch keine Handys gab, haben wir da gelebt oder nicht? Haben wir trotzdem Freunde und eine Frau fürs Leben gefunden oder nicht? Als es noch keine leistungsstarken PCs gab, haben wir da nicht gelebt, gearbeitet und unser Leben im Griff gehabt? Nein, ich bin keine Hasser von Fortschritt und Technologie! Aber wir können selbst entscheiden, wie wir damit umgehen.
Die Frage ist doch, lassen wir uns von der Technik beherrschen, oder herrschen wir über die Technik? Wir haben das Hirn, wir haben den Verstand, wir haben die Technik doch erst geschaffen.

Sorry, wenn ich abgeschweift bin. Aber ich denke, die Diskussion, Film oder Video, Schallplatte oder CD, Buch oder iPad, Liebe oder Cyberaex geht tiefer als nur in technischen Fragen. Mit meinem Beitrag möchte ich einfach nur zu etwas anregen. Den Rest muß jeder für sich ganz persönlich selbst entscheiden.

Friedemann Wachsmuth

Schmalfilmer, Dunkelkammerad, Selbermacher, Zerleger, Reparierer und guter Freund des Assistenten Zufalls. Nimmt sich immer viel zu viele Projekte vor.

2 Kommentare

Olaf S8 Veröffentlicht am12:59 - 7. Juni 2013

JA das Flair, der Sehgenuss einer Projektion die “lebt”, das Leuchten der Farben, das chaotische Kornflimmern, die nachvollziehbare Technik, das Ritual der Vorführung, das ganze Drum Herum, das ist es 🙂

    Markus Hack Veröffentlicht am17:44 - 29. November 2014

    ich teile den „Kultur-Pessimismus“ nicht. Zeiten ändern sich und jeder setzt sich mit dem tiefgreifend auseinander was ihn interessiert.

    Der Schlüssel ist, dass Digital nicht einfach „neu“ ist, sondern ein „Werkzeug“ mit besonderen Fähigkeiten, um alte Probleme zu lösen.

    Einen Film mit einem Siemens 2000 Projektor zu schauen ist ein besonderes Erlebnis. So etwas erdet und es ist inspirierend.

    Die wahre Meisterschaft ist es, die Mittel so zu wählen wie es der Problemlösung entspricht. Beim Film ist das Problem immer das gleiche: „wie erzähle ich eine Geschichte?“

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