Alte Kunde? Lovecraft in der Bretagne

Alte Kunde? Lovecraft in der Bretagne

Nachdem ich H.P. Lovecraft zunächst in THE COLOUR OUT OF SPACE (2017) im Dartmoor und in THE GARDEN (2019) auf einem Friedhof in Savannah verfilmt hatte, war 2023 der Moment gekommen, einen dritten Teil zu wagen. Im damaligen Frühjahr erschien der Gedichtband FUNGI VON YUGGOTH UND ANDERE GEDICHTE, voller erstklassiger Nachdichtungen von Frank Dukowski. Überraschend neu war für mich darin ein Gedicht namens OCEANUS, das Teil des Gedichtzyklus A CYCLE OF VERSE (1918) war. Darin beschreibt er die Schrecken aus alten Kunden, die im Meer verborgen liegen. Gewissermaßen ist es Lovecrafts Mythos in einer Nussschale, also in stark verdichteter Form.

Ich beschloss also, mich dem Text filmisch zu nähern und während einer Rundreise durch die Bretagne die geeigneten Drehorte zu suchen. Und ich wurde fündig: Ich filmte die zwei Felsen im Meer in Guilvinec und die erste Szene mit dem Leuchtturm in Plogoff, Finistère. Die geometrischen Linien von Lovecrafts sagenumwobener Stadt R’lyeh am Meeresgrund fand ich am Phare d’Eckmühl in Penmarc’h. Dort habe ich auch die rätselhaften Wandgemälde für die Titelsequenz gefilmt. Die alles verschlingende Steinkreatur filmte ich in In Pleyben, Finistère und die dämonisch anmutenden Wasserspeier in Perros-Guirec, Côtes-d’Armor.

Als Eric-Rohmer-Fan filmte ich auch in Dinard und auf der Rückreise einige Szenen in Villers-sur-Mer, Calvados.  Am dortigen Stand konnte man zahllose versteinerte Urzeittiere erblicken, ein gutes Omen für das Filmprojekt! Außerdem war 2023 die gesamte Strandpromenade mit einer Ausstellung zu Ehren des französischen Filmemachers Claude Lelouch dekoriert, da der Strand in den 60ern neben Deauville Schauplatz für den Film UN HOMME ET UNE FEMME (1966) war. Während Lelouch hier eine Liebesgeschichte erzählte, erträumte ich mich, umringt von Fossilien und tosender Wellen in die grauenvolle Vorzeit.

Während der Dreharbeiten suchte ich einen passenden Schluss, in Wirkung ähnlich dem in Stanley Kubricks THE SHINING. Während der gleichzeitigen Arbeit an einem Artikel über John Fords im Monument Valley gedrehte Filme für die deutsche Filmzeitschrift 35 MILLIMETER beschäftigte mich damals eingehend mit der Mythologie der Navajo. Als ich las, dass die Felsen für die Indigenen Karkassen von erschlagenen Monstern darstellen, die vor den Menschen dort gelebt haben, wusste ich, wie ich Lovecrafts Mythos auf einen globalen Mythos ausweiten konnte. Ich griff dabei auf Diapositive zurück, die ich 2019 dort auf 35mm Kodak Ektachrome aufgenommen hatte.

Doch ein Problem stellte sich mir in den Weg: Während der ganzen Dreharbeiten herrschte traumhaftes Wetter, viel zu gut für die intendierten Bilder, die den Betrachter in Unbehagen versetzen sollen. Die Lösung kam mir, als ich über das frühe Farbverfahren des Zweiband Technicolor las, TWO-STRIP TECHNICOLOR, das eigentlich korrekt PROCESS 2 heißt. Bei dem in den frühen 1920ern eingesetzten Verfahren verwendete die spezielle Technicolor-Kamera einen Strahlenteiler, der gleichzeitig zwei aufeinanderfolgende Bilder eines einzelnen Schwarzweißfilmstreifens belichtete, eines hinter einem grünen Filter und eines hinter einem roten Filter. Dadurch erreicht man eine ganz unwirkliche Ästhetik voller Rot- und Grüntöne. Eingesetzt wurde es u.a. im Stummfilm THE PHANTOM OF THE OPERA (1925) von Rupert Julian mit Lon Chaney. Wer weiß, vielleicht hat Lovecraft ihn im Kino gesehen? 

Gedreht habe ich mit einer Bolex REX3 16mm-Filmkamera von 1963 und 120m Fuji Eterna-Film. Für den Technicolor-Effekt griff ich auf eine digitale Farbkorrekturtechnik zurück, ähnlich derer, die Martin Scorsese in THE AVIATOR (2004) eingesetzt hat, um den Look des alten Zweifarben-Technicolor-Verfahrens zu erzielen.

Der Zuschauer war nun visuell in einer anderen Welt, aber mir war schnell klar, dass die passende Musik gefunden werden musste. Seit einiger Zeit wirke ich am Podcastprojekt ANTENNE TRAUMSTADT mit, und darin war mir schon länger die Musik von Carlos Ebelhäuser aufgefallen, der die Titelmusik beisteuerte. Er war der ehemalige Bassist der Band BLACKMAIL; als ich ihm den fertig geschnittenen Film zeigte, fand er schnell einen Zugang. Wir beide sind Liebhaber italienischer Horrorfilme, aber auch von John Carpenter, wodurch ein kraftvoller Score entstanden ist. Bernhard Plank ist nach THE GARDEN zum zweiten Mal Sprecher von Lovecrafts Text und trifft abermals den richtigen Ton. Ebenso ist wiederholt der Künstler Bjoern Candidus dabei, der das Titelmotiv des Filmplakates gezeichnet hat.

ANCIENT LORE war körperlich äußerst kräftezehrend, weil ich ihn innerhalb von drei Monaten fertigstellen wollte, um ihn rechtzeitig für das renommierte H.P. Lovecraft Filmfestival in Providence im Herbst 2023 zeigen zu können, was auch gelang. Insgesamt wurde er bislang auf 22 Festivals weltweit gezeigt, erhielt einige Auszeichnungen als BEST EXPERIMENTAL FILM und eine HONORABLE MENTION.

Besonders schöne Erinnerungen habe ich allerdings an die Momente, wo ich eingeladen war, meinen Film persönlich vor Publikum zu präsentieren. Am 05.10.2023 zum Beispiel auf dem 43. Fantafestival (Mostra Internazionale del Film di Fantascienza e del Fantastico di Roma). Dort lief der Film als einer von acht Kurzfilmen weltweit. Ich reiste mit dem Zug an und stellte ANCIENT LORE auf großer Leinwand im Nuovo Cinema Aquila vor. Unvergesslich, weil u.a. Sergio Martino und Dario Argentos Drehbuchautor mit im Publikum saßen. Oder am 25.08.2024, während der Deutschlandpremiere auf dem 20th International Short Film Festival Detmold. Aus irgendeinem Grund lief der Film dort ganz ohne deutsche Untertitel, dafür mit perfektem Ton und Bässen. Ein Franzose aus dem Publikum meinte anschließend, dass der Film auch ohne Textverständnis ganz unglaublich intensiv wirke.

Foto: Jan Harenberg

Und am 12.11.2024 lief er sogar auf dem 38. Internationales Filmfestival Braunschweig, als Teil der kleinen Retrospektive meiner Filme, AUS DER TIEFE. Passend auch: der Ort, wo ich mit analogem 16-mm-Projektor meine Filme zeigte, war der Rote Salon im Schloss, mit wunderbarem Q&A. Am Tag darauf zeigte ich ihn noch einmal analog, vor interessierten Studenten der Germanistischen Fakultät der TU Braunschweig. Am 27.08.2025 war ANCIENT LORE dann noch Teil von drei meiner Filme, die ich in der Kunsthalle Mainz bei Best of „Andersartig“ vorstellen durfte.

Im Herbst 2024 erschien ANCIENT LORE sogar als Teil des Bonusmaterial des Spielfilms THE DEEP DARK von Mathieu Turi bei Plaion Pictures auf DVD/Blu-Ray. Großer Dank gilt hier Stefan Jung. Bereits im April des Jahres war er in dieser Konstellation als Vorfilm auf dem Fantastic Film Festival Australia in Melbourne gelaufen.

Anlässlich des Films hatte mich Nils Gampert von der Deutschen Lovecraft-Gesellschaft 2023 zum Film interviewt, der darin erstmals von „Lovecraft Trilogie“ sprach.

ANCIENT LORE war für mich eine beglückende Erfahrung, voller schöner Zufälle und neuer Weggefährten. Ich wünsche viel Spaß beim Schauen des Films.

https://letterboxd.com/film/ancient-lore

https://www.imdb.com/de/title/tt28563591

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