Kodak Vision zum Positiv entwickeln

Kodak Vision zum Positiv entwickeln

 So erscheint das Bild in der Projektion: Weiche Hauttöne, feines Korn, hohe Schärfe und warme, etwas unwirkliche, nostalgische Farben.

Seit Jahren hat Kodak Super-8 Negativ-Material im Programm. Irgendwie ja schon sonderbar, beim Negativmaterial gibt es Auswahl: Bis vor kurzem „nur“ 200 und 500 ASA Material mit Kunstlichtsensibilisierung, seit kurzem nun auch endlich das legendäre 50 ASA Material mit Tageslichtsensibilisierung. Schärfe, Korn, Auflösungsvermögen und Farbraum der Vision 3 Materialien (und auch schon der Vorgängermaterialien der Vision 2 Serie) sind unglaublich gut — meilenweit besser als jeder Umkehrfilm sein kann.

Die Filme haben einen ungeheuer großen Belichtungsspielraum und bringen echte Kinoqualität – wäre da nicht ein ganz zentraler Nachteil: Sie lassen sich nicht projizieren. Wie alle Farbnegativmaterialien des Weltmarktes sind auch die Vision-Filme maskiert, das heisst mit einer braun-orangenen, partiellen Einfärbung versehen, die Farbstoff-Fehler der Cyan- und der Magenta-Schicht kompensieren. Jeder kennt die braun-orangenen Negativstreifen aus der Fotowelt; die Vision-Filme sehen genauso aus. Zum einen liegt das daran, dass ihre Emulsionen in der Fotografie (unter anderen Namen) auch als Farbfilm erhältlich sind, zum anderen wird die orange-braune Maske auch für das „printen“, also das ziehen einer Positivkopie benötigt, denn Printfilm hat einen sehr ähnlichen technischen und chemischen Aufbau wie Farbfotopapier. Nun: Selbst wenn die Vision Filme nicht maskiert währen, würden sie in der Projektion keine Freude bereiten, denn das Bild währe in Farbwerten und Helligkeit umgekehrt, sprich komplett invertiert. Dazu kommt, dass Negativfilm ein sehr viel geringeres Gamma hat, also an sich viel kontrastärmer, ja flauer aussieht als jeder Umkehrfilm. Ein Umkehrfilm kann von glasklar bis tiefschwarz eigentlich alles, hält man einen Negativstreifen gegen das Fenster, erkennt man dessen viel gemässigteren Minimal-  und Maximaldichten schnell.

Es bleiben dem Schmalfilmfreund also eigentlich nur zwei Optionen, dieses Traum-Material zu verwenden: Die digitale Abtastung oder die Anfertigung einer Positivkopie. Die Abtastung erlaubt dann immer noch keine Projektion, zudem ist sie teuer und meist qualitativ sehr enttäuschend. Nur sehr wenige Anbieter (und Abtastgeräte) verstehen sich auf die fachgerechte Abtastung von Negativmaterial, weshalb die Ergebnisse solcher Abtastungen oft weder etwas mit den Originalfarben noch mit der enormen Qualität zu tun haben, die in diesem Film steckt. Es ist zu hoffen, dass sich der Markt hier in Zukunft bessert, wer aber heute schon eine gute Negativabtastung haben will, muss ziemlich tief in die Tasche greifen und auch dann noch damit rechnen, selbst farblich nach-korrigieren zu müssen.

Die andere Alternative ist die Positivkopie, die von der Firma Andec angeboten und auf deren speziell angefertigten Kopierzahnkranz im Wetgate-Verfahren angefertigt wird. Die Qualität ist zweifelsohne hervorragend, der Preis allerdings für den Amateur leider kaum noch erschwinglich – eine 30m lange Kopie kostet ca. 80,- € zzgl. Spule und Versand. So bestechend gut diese Kopien auch sind, sie treiben den Meterpreis für den Amateur doch arg in die Höhe. Ein Versuch sei aber jedem ambitionierten Farbfilmer wärmstens empfohlen, das Ergebnis in der Projektion ist absolut bestechend und zeigt, was für Leistung in den Vision Filmen steckt. Zu beachten ist allerdings, dass man diese Positive nicht mit Umkehrfilm zusammenschneiden kann, denn es wechselt die Schichtseite. Dass das übliche Kopiermaterial auf Polyesterbasis und somit nicht nass klebbar ist, ist da noch das kleinere Problem.

Also: Was tun? Irgendwie muss man diese Vision Filme doch so entwickeln können, dass sie direkt projizierbar werden! Und genau darum geht es in diesem Artikel, denn es geht tatsächlich.

Dem Dunkelkammer-begeisterten Amateur ist die Technik des „crossens“ wohl bekannt. Üblicherweise werden hierbei Diafilme in Farbnegativ-Chemie (C-41) entwickelt. Das Ergebnis ist ein extrem kontrastreiches, knallbuntes und farblich unwirkliches Negativ – man behält also die Grundeigenschaften des Diafilms (hohe Farbsättigung, starker Kontrast) und ergänzt sie mit den Eigenschaften des C-41 Prozesses: Negative Farben und Tonwert-Umkehrungen.

Unüblicher aber möglich ist es auch andersherum: Einen Farbnegativfilm in E-6 Chemie für Diafilme zu entwickeln. Wieder behält man die Grundeigenschaften des Filmes bei (hier: geringe Farbsättigung, flache Kontraste, Maskenfarbstoffe), erhält aber ein Bild, dessen Helligkeits- und Farbwerte nicht umgekehrt sind.

Genau hier habe ich angesetzt und mir zwei altbekannte Dunkelkammerkniffe zu Nutze gemacht: Zum einen kann man die Farbsättigung bei Farbnegativfilm erheblich erhöhen, in dem man diese überbelichtet. Jeder Farbnegativfilm des Marktes verträgt ohne Probleme eine um zwei ganze Blenden erhöhte Belichtung, ohne unkopierbar zu werden oder farblich unkorrigierbar abzudriften. Das Korn wird so nebenbei noch unauffälliger, oft steigert sich auch die Schärfeleistung weiter.

Zum anderen lassen sich Filme aufsteilen, also im Kontrast erhöhen, in dem man sie forciert entwickelt: Die sogenannte Push-Entwicklung sieht eine längere Verweildauer im Entwicklerbad vor, wodurch tiefere Schatten und hellere Lichter entstehen.

Zur Verfügung stand mir eine einzelne Kassette Vision 3 200T. Testreihen waren unbedingt erforderlich. Da sich Super 8 Film aber so schlecht in Teststreifen entwickeln lässt, habe ich so viele Tests wie möglich direkt hintereinander aufgenommen. Jeder Test wurde für 2 Sekunden gefilmt, so dass jeweils ca. 36 Filmbilder entstanden. Testmotiv war ein Kodak IT8-Target, das ist eine farbecht hergestellte Testtafel mit kritischen Farbwerten, Hauttönen und Graukeil. Beleuchtet wurde das Target von zwei 200W Glühlampen mit Softbox.

IT8-Target
IT8 Taget im Original (oben) und in der Reproduktion des S8 Einzelbildes (unten): Deutlich zu erkennen sind die gedeckte Grünwiedergabe, das kobaltblaue Cyan für Postkartenhimmel, die elfenbeinfarbenen Bildweissen und das gedeckte Magenta, dass dafür auch im mittleren Grau zu finden ist. Die gedeckten Farben (links) kommen dafür knallig wie echte Prilblumen.

Ich fertigte Belichtungsreihen in 1/3 Blendenstufen von -1 Blende bis +2 Blenden an, jeweils einmal mit und einmal ohne Konversionsfilter. Danach wurde die Reihe bei Tageslicht (bedeckter Himmel am Nachmittag) wiederholt. Um drei verschiedene Entwicklungen testen zu können, markierte ich den Film am Bildfenster mit einer Lochzange (Schaffnerzange aus dem Spielzimmer) und wiederholte die beiden Testsequenzen zwei weitere Male, wieder jeweils markiert durch ein Zangenloch. Das kamerainterne Konversionsfilter habe ich dabei bewusst auch falsch (also bei Kunstlicht) eingesetzt, da es eine der Negativmaske nicht unähnliche Färbung hat und ich sehen wollte, wie es dann wirkt. Nach diesen Sequenzen schnitt ich den Film am Filmfenster der Kassette durch, brach die Ratsche der Kassette, zog den Film vorsichtig aus der Kassette und lagerte ihn lichtdicht, um gleich das erste Drittel in meinen Entwicklungstank zu spulen. Das praktische an den Zangenlöchern im Film ist, dass man sie im Dunkeln einfach ertasten kann und so nur den gewünschten Abschnitt entwickelt.

Der unbelichtet verbliebene Rest der Vision-Kassette wurde bei absoluter Dunkelheit in eine russische, wiederbefüllbare „Kaccema“ Kassette verpflanzt, um ihn später noch belichten zu können.

Für den Test wurde frische Chemie (Tetenal Colortec 3-Bad E6) angesetzt und exakt temperiert. Für reproduzierbare Ergebnisse war besonders genaues Arbeiten erforderlich. Nach der Entwicklung und Trocknung der ersten Testsequenz wertete ich Farben und Dichte aus, die flauen Bilder untermauerten meinen Eindruck einer nötigen Push-Entwicklung: Die beiden anderen Testsequenzen wurden also +1 und +2 Push-entwickelt.

Das Auge suggerierte es bereits, Mikroskop und Densitometer bestätigten es: Die um eine Blende forcierte Entwicklung in Verbindung mit den zwei Blenden überbelichteten Szenen war der klare Gewinner! Überlagert wurden die überraschend guten Kontraste leider immer noch von der braun-orangenen Maske, allerdings in erheblich geringeren Maße als beim typgerecht entwickelten Negativ. Klarfilmstellen haben eine etwa hell-aprikosenfarbene Tönung, was den Film augenscheinlich recht unbrauchbar wirken liess.

Nichtsdestotrotz belichtet ich die verbliebene Hälfte in der auf 50 ASA Tungsten gekerbten Kaccema nun mit echten Motiven belichtet, also Hauttönen, ein paar bunten Ecken im Garten und schliesslich verschiedenen, bewährten Testtfeln (Siemensstern, logarithmisches Linienraster, Grauverlauf, Headroom-Test etc.).

Klarfilm
Klarfilm: Die durchgängige Einfärbung des Trägers fällt dem Auge in der Projektion kaum auf.

Die große Überraschung kam, als ich das Ergebnis des wieder um +1 gepushten und getrockneten Filmes in den Projektor legte: Die Abricot-Färbung fiel fast überhaupt nicht auf! Das Projektorlicht kommt einem lediglich „sehr warm“ vor, der Gesamteindruck des so verbogenen Films ist in der Projektion aber ausgesprochen gefällig. Grund hierfür ist vermutlich, dass die maskenbildenden Farbstoffe während der Entwicklung nicht nur partiell an bestimmten Filmbildstellen deaktiviert werden, sondern offenbar global im Filmbild abgeschwächt werden. Die Färbung des entwickelten Films ist also eine weitgehend gleichmässige Farb-Überlagerung. Ist ein so projizierter Film die einzige nennenswerte Lichtquelle im Raum, adaptiert sich unser Auge in Windeseile auf den warmen Weißpunkt und nimmt die explizite farbliche „Wärme“ des Ergebnisses nicht mehr isoliert dar: Der Film ist absolut projizierbar! Nur „normales“ Umkehrmaterial darf man wohl nicht dazwischen schneiden, die Sprünge wären zu groß.

Beachtlich sind Schärfe und Feinkörnigkeit des Ergebnisses. Hier zeigt der Vision Film auch gecrosst noch all seine Stärken. Recht gut kann man das erkennen, wenn man den Kern eines Siemenssterns vergleicht, jeweils im identischen Abbildungsmaßstab:

Siemensstern
Siemensstern, Links der E100D, rechts der V200T bei Belichtung wie 64T und Push-1 Entwicklung

Klar sagen muss man aber, dass das Ergebnis farblich weder neutral ist noch der Realität entspricht. Objektivbetrachtet sind nicht nur die Lichter hellorange, die Mitten haben auch einen deutlichen Lilastich und Grüntöne kommen mit geringer Sättigung. Klingt furchtbar, sieht projiziert aber gut aus! Die Gesamtanmutung des projizierten Bildes lässt sich am ehesten mit „Retro-Effekt“ beschreiben, denn die Farben kommen sehr warm und ähnlich verschoben zur Geltung, wie man es aus den Fotoalben der Siebzigerjahre kennt. Die farbliche Abstimmung ist also angenehm wie falsch, ein paar Laien-Testkandidaten fiel bei der Projektion kein Fehler auf, sondern sie äußerten Begeisterung über die „tollen Farben“. Ausgesprochen gut mischt sich dieser Nostalgieeffekt mit der ungewöhnlich hohen Auflösung des Films und der Weichheit der Gradation. Gerade Hauttöne kommen sehr schmeichelnd, weich und samtig auf die Leinwand.

Beispielbild
Das gedämpfte Grün der Gießkanne wirkt fast metallisch

Dem experimentierfreudigen Schmalfilmer sei dieser „Spezialfilm“ wärmstens ans Herz gelegt, das Ergebnis ist einzigartig und sehenswert. Modifiziert man die Kerbe der Kassette z.B. mit ein wenig Pattex Powerknete derart, dass sie der eines Kodachrome K40 entspricht, wird der Vision 3 200T wie ein 40 ASA Kunstlichtfilm belichtet, was maximale Kompatibilität mit allen Kameras bedeutet, die es gibt.

Es empfiehlt sich, die Entwicklung selbst zu machen, denn die nötige Push-Entwicklung (2 Minuten mehr im Erstentwickler, mehr ist es nicht) lassen sich die meisten Labore offenbar teuer bezahlen. Zu beachten ist, dass der Vision Film eine Rußgelatineschicht hat, die vor der Projektion entfernt werden muss. Ein kurzes Bad aus Waschsoda und ein Schwammtuch halten die Sauerei in Grenzen.

Vielleicht findet sich ja ein kleines Labor, dass eine entsprechende Sonderentwicklung anbietet, wenn genug Interesse bekundet wird. Der Autor ist bei Fragen zur Entwicklung jederzeit erreichbar und hilft jederzeit gerne weiter.

Nachsatz: Kerbenfehler

Kodak hat offenbar irrtümlicherweise einige Vision Filme ohne die Tungstenkerbe in der Kassette ausgeliefert, obwohl es sich um Kunstlichtmaterial handelt. Zu erkennen sind diese Kassetten daran, dass sie nur eine statt zwei Kerben haben. Um eine korrekt Belichtung sicherzustellen, sollte man unbedingt die Tungstenkerbe nachträglich anbringen, was zum Beispiel mit einem Seitenschneider sehr leicht gelingt.

Friedemann Wachsmuth

Schmalfilmer, Dunkelkammerad, Selbermacher, Zerleger, Reparierer und guter Freund des Assistenten Zufalls. Nimmt sich immer viel zu viele Projekte vor.

10 Kommentare

Rudolf Suter Veröffentlicht am08:51 - 8. Mai 2013

Hallo Friedemann,

Vielen Dank für diesen sauber zusammengefassten Bericht zu diesem äusserst spannenden Thema der „Verkehrt-Herum-Entwicklung“. Ich muss mich unbedingt auch in die Technik des selber entwickelns einlesen, die Thematik wird für mich immer interessanter…

Rudolf

rm Veröffentlicht am11:36 - 12. Mai 2013

Der „etwas andere“ Farbeindruck sieht auch künstlerisch betrachtet sehr gut aus… Mich würde mal eine komplette Film-Sequenz zur Sichtung brennend interessieren. Bitte mal laufende Resultate hochladen, das wäre super.

    Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am12:04 - 12. Mai 2013

    Ich kann nur Abfilmen… Könnte ich mal machen, der visuelle Eindruck ist beim projizieren aber erheblich besser. Leider habe ich keinen 200T mehr vorrätig für einen „richtigen“ Film, dessen richtige Abtastung sich dann eher lohnen würde.

Miguel Angel Veröffentlicht am14:37 - 28. Mai 2014

Hello,

It is Miguel Angel here.

I ended up on your web site because I was looking for some information about developing film negative in a reversal bath as I love this cross processing technique when I shoot still photography.

I have tried to google translate your post but the translation is very poor.

Would you mind if I ask you which one is the lab you used to process the negative? or you did it at home?

Thank you very much.

    Miguel Angel Veröffentlicht am14:39 - 28. Mai 2014

    Oh, I forgot to say that I ended up on your web site thanks to Joerg Polzfusz who kindly answered my question on cinematography.com

    Thank you very much.

    Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am11:03 - 11. Juni 2014

    Hey Miguel,

    I did that at home in my Lomo tank — it was quite some trial and error. Few quick facts here since I don’t have time right now to translate the whole thing:

    – Use Vision 3 200T
    – Expose it as 50 ASA
    – Develop Push +1 Stop (2 minutes more in FD)
    – Be prepared for manual remjet removal (messy)

    Your result will

    – have lower contrast overall
    – have a apricot-ish base
    – have odd, mellow colors, nice for skin
    – be very sharp

    Don’t cut it together with normal reversal stock, than it looks great in projection. Very special at least.

Balkan Art Veröffentlicht am00:21 - 8. April 2015

Thank you for the work you’ve done. Fantastic result! I’m real impressed with your work. Friedeman, maybe a little naive, but I ask you. Is it possible that during the recording of the lens set a color filter that would neutralize the color kodak mask?

Wolfgang Veröffentlicht am01:12 - 7. Juni 2016

Sehr interessanter Ansatz, vor allem jetzt, wo es kaum mehr Umkehrfilme gibt! Kannst du uns noch verraten, ob du mit oder ohne orangenem Konversionsfilter die besseren Ergebnisse hattest? Vielen Dank!

    Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am09:14 - 7. Juni 2016

    Ohne. 🙂

Olaf S8 Veröffentlicht am11:22 - 9. September 2017

Funktioniert das auch mit einem Vision3 50D ? Also 2 Blenden überbelichten und 1 Blende pushen im Erstentwickler beim E6 Prozess, und ist es auch hier besser den Konversionsfilter nicht zu verwenden (wäre ja die normale Einstellung, da es ein Tageslichtfilm ist) – Wenn das funktioniert und du das schon einmal getestet hast, wie sind die Ergebnisse geworden ?

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