Viel Herz, viel Hurz und zu viel Genuschel

Viel Herz, viel Hurz und zu viel Genuschel

Noch sind die 26. Dresdner Schmalfilmtage nicht ganz vorbei, aber terminbedingt musste ich etwas früher abreisen und verpasse daher das Sonntagsprogramm. Man erlaube mir trotzdem ein Resumé.

Es waren meine ersten Dresdner Schmalfilmtage, da diese chronisch gern in die Hamburger Schulferien fallen und Familie eben vorgeht. Nun hat es endlich mal geklappt, und insgesamt bin ich ausgesprochen positiv überrascht und von vielen wunderbaren Eindrücken erfüllt. Bei allen positiven Eindrücken gibt es leider auch Punkte, die den Gesamteindruck etwas negativ überschatten, doch dazu später mehr.

Die Schmalfilmtage sind pure Druckbefüllung mit Indie-Content. Nach der Eröffnung am Donnerstagabend gab es täglich 14 Stunden Programm, das oft auch aus recht schwer verdaulicher Kost bestand. Knapp 10% der eingereichten Schmalfilme schaffen es in die Auswahl des Festivalprogramms, und diese Quintessenz ist oft sperrig und hat es in sich. Natürlich ist es immanente Aufgabe eines internationalen Festivals, einer breite Palette künstlerischen Schaffens Bühne zu bieten, und das ist auch klar gelungen. Neben den zahlreichen Filmprogrammen in der großen Motorenhalle gibt es in den Räumlichkeiten des charmanten Hinterhofs des Veranstalters Riesa Efau auch noch Workshops, Performances, Gesprächsrunden, Ausstellungen, Musik mit Filmbezug und natürlich Wettbewerbe — vor allem aber eines: Gleichgesinnte.

Wohl an kaum einem anderen Ort kann man so viele Gleichgesinnte treffen, die so chronisch vom Zelluloidvirus befallen sind wie man selbst, und neben dem Austausch mit alten Freudnen und vertrauten Gesichtern konnte wohl jeder Besucher ein Menge neuer, internationaler und wertvoller Kontakte knüpfen — das ist in dieser Dichte wohl unvergleichlich. Das erwärmt das Herz, und Taktung und Länge des Festivals geben ausreichend Raum zur Vertiefung. Dafür allein kann man den Veranstaltenden nur ausdrücklich danken. Besonders lobenswert ist hierbei anzumerken, dass es gelungen ist, sehr viel junges Publikum anzusprechen.

Gerade am grandios gut gestalteten Freitagabend fiel das auf, bei dem viele Besucher schon keinen Sitzplatz in der großen Halle mehr bekamen. Es tut gut zu sehen, wie ein junges Publikum hier Blut lecken konnte — noch mehr gilt das für den zweitägigen, von Malte Bartels geleiteten „BUNT AUF ACHT“ Workshop, in dem beim Erlernen des recht komplizierten Chromaflexverfahrens ein richtig herzliches, verbindendes und inspirierendes Gruppengefühl entstand.

Bei den im Rahmen des weiteren Programms gezeigten Filmen war die Bandbreite teilweise allerdings auch schwer verdaulich, in Einzelfällen sogar grenzwertig qualvoll. Ich bin mit Sicherheit kein Kunstexperte, aber die Publikumsreaktionen haben doch recht einhellig gezeigt, dass die Qualität der Kuration einzelner Veranstaltung sehr stark schwankte. Vielleicht war ich Donnerstag noch nicht ausreichend in Stimmung, zumindest aber rechnete (oder hoffte?) ich immer wieder damit, dass ein verkleideter Hape Kerkeling mich mit einem beherzten „Hurz!“ von der künstlichen Ernsthaftigkeit des Dargebotenen befreite. Nur soviel: Kratzfilme werden m.E. nicht besser, wenn man mit Aschenbechern, Seetang oder Farbfolien vor dem Objektiv rumwedelt — eine Viertelstunde hält man das aber aus.

Schwieriger wird es, wenn als Diptychon präsentierte Schnipsel aus rumänischen Familienfilmen nur dadurch zusammengehalten werden, dass links wacklig langweilige Landschaften und rechts beliebige Gesichter loopen. In stumm, bei absoluter Stille in der riesigen Halle. Für volle 20 Minuten. Nicht mehr ganz Ernst nehmen konnte ich das ganze, als nahezu genau die gleichen Filmschnipsel ein zweites Mal gezeigt wurden, jedoch in anderer Reihenfolge — und nach Kurt Felix hielt ich suchend Ausschau, als der anwesende Künstler uns (immerhin um Entschuldigung bittend) die gleiche Suppe in einer dritten, vollkommen redundanten Rekombination einflößte. Im Anschluss gab es noch zu viele Fotos exakt dieser Präsentation an anderen Orten und ein Interview, in dem der Moderator den sympathisch bescheidenen Urheber Razvan Anton durchgehend mit „Ravzan“ (OH: „Raffzahn“) ansprach. Als Gastgeber und Interviewer sollte man den Namen seines Gegenübers kennen.

Der anschliessende „international Found Footage“ Wettbewerb war inhaltlich auch sehr düster und schwer. Nur zwei der zwölf qualifizierten Beiträge waren eher packend als verstörend: Dank des Publikumspreisgewinners „Idealismo Legleriano“ von Niccolò Beretti und Pere Ginards „Sightings“ (Jury-Gewinner) konnte ich mit dem Abend nicht völlig desillusioniert abschliessen.

Auch Samstag nachmittag begann das Filmprogramm herausfordernd. Margaret Raspé war sicherlich eine Film-Pionierin mit interessanter Vita, und ihre selbstgebaute, Microflex-basierte „Helmkamera“ 1974 ihrer Zeit weit voraus. Ihre im Egoshooter-Style festgehaltenen Alltagstätigkeiten haben als Installation sicherlich großes Potenzial, aber über eine Stunde lang beim Zerlegen eines Huhnes, beim beliebigen Bekritzeln eines Blattes Papier und krönend dann 20 Minuten beim Abwasch zuzusehen, das funktioniert einfach nicht als Stummfilmpräsentation im Kinoformat. Ich habe keinen einzigen Besucher getroffen, der nicht ärgerlich über diese Präsentationsform aus der Halle kam.

Aber kommen wir endlich zum Positiven, und davon gab es reichlich: Alles an diesem Freitag folgende war ein absoluter Hochgenuss, hervorragend zusammengestellt und bestens unterhaltend. Und das lag nicht nur am Kontrast zum vorhergehende Trauerprogramm. Jan Nordsieck moderierte kurzweilig und geschickt eine Gesprächsrunde mit Super 8 Hochkarätern zum 60. Geburtstag des von uns so geliebten Filmformats. Neben köstlichen Geburtstagskuchen gab es launige Einblicke in den Laborbetrieb von Richard Tuohy und Dianna Barrie aus Melbourne, Branchen-Insights von Jürgen Lossau, Filmsammlerwissen von off2-Macher Joachim Schmidt sowie Kreativenrepräsentation von Bio-Marke Dagie Brundert und Filmproduzent Michael Sommermeyer. Da klebte man an den Lippen und die Zeit verging wie im Fluge. Hier war zu merken, was gute Moderation ausmacht: Jan Nordsieck war bestens vorbereitet und schaffte mit wenigen, guten Fragen eine sichtbare Bühne für die Anwesenden und das Publikum.

Expertenrunde auf dem Sofa

Nicht weniger brilliant nahm er wenig später das große Publikum in der Motorenhalle an die Hand zum Super 8 Geburtstagsprogramm „Von der Rolle zur Kassette“, einer Revue-ähnlichen Zusammenstellung von höchst unterhaltsamen Filmen, die eigentlich das gesamte Spektrum abdeckten, das Super 8 bespielt.

Ein Geburtstagsprogramm voller Juwelen

Ein schräger Bolex-Werbefilm, eine preisgekrönte Gedichtsverfilmung von Patrick Müller, Dagie-Workshop-Highlights vergangener Festivals, echten Amateurfilm (Anonyme Analogiker Berlin, 2015), eine komplette Kurzfassung des Vampir-C-Movies „Love at First Bite“, Ein per Microfasersocke aufgenommener Experimentalfilm (mein persönliches Festivalhighlight) — hier fehlte nichts.

Weiss, wie man moderiert: Jan Nordsieck

Mein absolutes Highlight des Festivals aber war wohl der nachfolgende Liververtonungswettbewerb. Etwas weniger souverän als Jan Nordsieck, aber charmant, navigierte die Sängerin Enna Miau durch die Vertonung der neun Filmbeiträge durch neun verschiedene Musiker und Gruppen. Gezeigt wurden acht DEFA-Lehrfilme und abschliessend das nach 43 Jahren wieder aufgetauchte Amateurspielfilmfragment „Green Planet“ von Sessil Siffkov und Klaus Schreier. Die musikalischen Erfindungen waren fast durchgehend großartig, die Wahl eines Siegers sehr schwer. Ein fettes Lob an René Seim, der die teilnehmenden Künstler rekrutiert hat! Letztlich waren die verdienten Sieger „Die Kramps“ (Bremen) als Jury-Sieger mit der Vertonung eines Puppenfilmes und „Flinta Flöten“ als Publikumsliebling für „Emotionen“, einen Aufklärungsfilm des deutschen Hygienemuseums. Ein grandioser Spaß! Um 2 Uhr morgens war ich im Bett.

„Können alles ausser cis“: Flinta Flöten

Nach dem Frühstück begann das Samstagsprogramm dann mit dem sehr sperrigen, französisch-belgischen Portait „Ôte-toi de mon soleil“ über einen weisen Messi, das mich in keiner Weise erreichen konnte. Es mag auch an meinem eingerosteten Französisch liegen, aber den Eindruck einer enttäuschenden, unpassend leeren Bildsprache und unverhältnismäßigen Längen teilten auch frankophon-frankophile Filmkenner in meiner Nähe. Macht nix, es gibt ja genug Menschen zum Plaudern.

Danach folgte auch wieder ein Highlight: Die Live-Vertonung des Amateur-Stummfilms „Lilly Strada“. Diese fast 70-minütige Lysistrata-Parabel, ein „Gangsterspektakel um Banden, Bräute und Bettboykott“, wurde seinerzeit nach der Entwicklung durch die stasikontrollierte Umkehranstalt einbehalten und 1992 einfach ein zweites Mal gedreht. Ein sehr gelungenes Werk — Amateurspielfilm ist schliesslich ein schwieriges Thema, hier ist er glänzend und kurzweilig gelungen. Auch die musikalische Begleitung und die authentische Anmoderation durch einen der Macher gaben einen perfekten Rahmen. Warum man dem Mann im Q&A nach dem Film kein Mikrofon gab, bleibt leider ungeklärt.

Anschliessend, also zur Primetime am Samstag Abend, folgte das, was bisher immer als Highlight des Festivals galt: Der internationale Wettbewerb. Leider fiel dieser im Vergleich zum Programm des Vortags aber in mehreren Belangen deutlich ab: Ich habe ca. 70 Zuschauer gezählt, bei der Liververtonung am Vortag waren es sicher doppelt so viele. Auffallend viele Menschen verliessen auch schon während der Veranstaltung die Halle, was sicherlich nicht nur an der sehr trüb-düsteren, oft schlicht bedrückenden Beitragsauswahl lag, sondern auch an so banalen Dingen wie der Technik. An Samstagabenden möchten auch Kunstinteressierte unterhalten werden, der Wettbewerb aber war leider ein mehrdimensionales Leiden, der nicht nur mich zu verärgert und zu enttäuscht zurück liess.

Lieber Riesa Efau, hier sollte unbedingt etwas passieren. Ja, es kommt mal vor, dass ein Kabel bricht oder wackelt — aber wenn der gesamte rechte Kanal von Donnerstag bis Sonntag nicht nur ständig ausfällt sondern derartig brummt und spratzelt, dann macht das nicht nur jeden Soundtrack, sondern auch die Ohren kaputt. Meine Smartwatch warnte mich mehrmals vor Lautstärken jenseits der 95 dB, und die sind kein Vergnügen, wenn sie durch kaputte Technik entstehen. Auch bei den Mikrofonen muss sich etwas tun, ich vermute, eure sind gut für Beatbox-Künstler — zumindest quälten sie unangenehm mit Plosivlauten, wie sie auch ohne kaputte Verstärkung einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Ebenso hinderlich wie der schlichtweg kaputte Sound aber sind die gezeigten Sprechertalente eurer Moderatoren und Moderatorinnen.

Was ich da erleben musste, war (abgesehen von Jan Nordsieck und Enna Miau, die allerdings eher M.C., also „Master of the Ceremony“ als Moderatorin ist) durchweg ziemlich inakzeptabel und erinnerte an Schüler, die zu schüchtern und verhuscht ihr erstes Referat halten. Wenn eure Technik wieder läuft, organisiert doch bitte ein Bühnensprechtraining, und lernt, wohin und wie man ein Mikrofon hält — Leute die es besser können und da helfen gibt es sicherlich. Unverständliches Genuschel, zumal meist schlecht, holprig und falsch abgelesen, es quält Film und Zuschauer. Den Filmen und Künstlern gegenüber wirkt es respektlos und alles andere als wertschätzend, auch wenn es sicherlich nicht so gemient war. Oft wurden ja nicht mal die Namen genannt. Als Zuschauer windet man sich da sich fremdschämend im Stuhl und hofft, dass es bald vorbei ist und der nächste Film beginnt.

Der beste Sprecher und die beste Technik nützen aber auch noch nichts, wenn man nur den Text aus dem Programm abliest, dass eh jeder Zuschauer in der Hand hält. Anmoderation ist aktive Kommunikation, sie liefert den Rahmen für das zu Erwartende. Bitte lieber keinen Rahmen als einen so dürftigen.

Von den 13 Beiträgen haben mir letztlich drei aber großen Spaß gemacht, auch wenn die Peinlichkeiten das ganze allgemein überlagerten. „Der Plot“ von den Trophäenabonntenen Michael Sommermeyer und Manuel Francescon, „The Jacobs Way“ von Xenia Nitschke und „Slides“ von Ben Slotover waren so richtig Super 8 — schnell, selbstgemacht, lustig, authentisch, unterhaltend und voller Liebe zum Detail. Das Gros der anderen Filme hingegen war viel zu lang, und oft nahm ich mehr Effektheischerei als eigentliche Qualität wahr.

Wenn man bedenkt, dass Kodak zu 90% Farbfilme verkauft, wundert man sich über die enorme Menge an gezeigten Beiträgen in trist knüppelhartem Schwarzweiss, unterlegt von einer wummernden Suppe aus Grollen, Krach und Wummern im Bereich unter 100 Hz. Fast jeder dieser Filme wäre in halber Länge deutlich besser gewesen. Man kann nur hoffen, dass die Kuratoren hieraus lernen und im kommenden Jahr neben Beherschung von Technik und Moderation auch ein Programm zusammenstellen, dass einen nicht alle fünf Minuten aufs neue in eine kleine Depression stürzt — sonst könnte sich die Zahl der Zuschauer schnell noch einmal halbieren.

Fazit: Ich komme 2026 gerne wieder! Die positiven Aspekte überwogen letztlich ganz deutlich, und die Unzulänglichkeiten können sich eigentlich nur noch verbessern. Vielen Dank für die schönen Tage und die vielen wertvollen Begegnungen!

Nachtrag: Die Aktivitäten des Riesa Efau fußen auf geringsten Mitteln, was die teilweise marode Technik und fehlende Professionalität einiger Moderator_innen erklärt. Wer hier aktiv helfen kann und möchte, kann sich zukünftig aktiv einbringen oder auch einfach Spenden. Ganz schnell und einfach geht das per Paypal

Friedemann Wachsmuth

Schmalfilmer, Dunkelkammerad, Selbermacher, Zerleger, Reparierer und guter Freund des Assistenten Zufalls. Nimmt sich immer viel zu viele Projekte vor.

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