Von Lomokino zu Super 8: Von der Wiederentdeckung des Zelluloids

Von Lomokino zu Super 8: Von der Wiederentdeckung des Zelluloids

Mein Zelluloidabenteuer begann im Juni 2013. Nachdem ich jahrelang zuerst mit DV- und dann DSLR-Kameras gefilmt hatte, reizte es mich, etwas ganz anderes zu versuchen. Eines Tages bin ich auf die interessante Lomokino-Kurbelkamera für 35mm-Kleinbildfilm gestoßen. Filmemacher Apichatpong Weerasethakul hatte damit zuvor den umwerfenden Experimentalfilm Ashes gedreht, dessen Ergebnis mich begeisterte und ermutigte, es selbst einmal zu versuchen. 

Die Gelegenheit dazu bot sich bei meinem Urlaub im ungewöhnlich sonnigen Dinard, einem Badeort in der Bretagne. Entgegen meiner Gewohnheit ließ ich alles Digitale zu Hause und nahm nur die Lomokino-Kamera mit. In einer Buchhandlung fand ich auch das passende Gedicht: L’Éternité (Die Ewigkeit) von 1872. Arthur Rimbaud schrieb es in seiner glücklichsten Zeit, als er mit jugendlichem Elan alles Alte hinter sich lassen wollte. Gedichtverfilmungen bieten schnell die Gefahr, ins Illustrierende zu verfallen. Ich wähle deshalb immer Texte aus, die sich noch mit Bildern und Assoziationen aufladen lassen. Indem ich Bilder und Text gerne in ganz neue Zusammenhänge stelle, hat der Betrachter Raum zum eigenen Denken. Dabei suche ich immer Gedichte, die etwas mit mir zu tun haben und die ich gerne selbst geschrieben hätte, wenn ich denn dichten könnte. Bin ich überzeugt, mit dem Dichter per du zu sein, lege ich los.

Dinard mit Promenade „Clair de Lune“

Stundenlange Spaziergänge entlang der schönen Promenade „Clair de Lune“ folgten, bei denen ich thematisch passende Motive aufnehmen konnte. Entgegen meinen Befürchtungen war das richtige Einstellen der Belichtung einfacher als gedacht, und neue Filme konnte man bequem im Fotoladen am Strand nachkaufen. Hier habe ich auch ein Einbeinstativ gefunden, das sich als gute Hilfe erwies. Leicht und gut tragbar hat es viele Aufnahmen stabilisiert. Denn die Lomokino-Kamera hat auch ihre Tücken: Der eingelegte Film ließ sich nicht immer sauber weiterdrehen und die Konstruktion selbst ist ziemlich wackelig. Nichts desto trotz machte das Drehen ungeheuren Spaß. Es war so anders, so fremd und die Beschränkung auf 144 Bilder pro Film macht kreativ. Zuhause angekommen lagen dann trotzdem über 30 Rollen Film vor mir, die zwar schnell entwickelt waren, aber nun mühsam gescannt werden wollten.

Montage, mon beau souci

Um bestmögliche Resultate zu erzielen, konnte ich glücklicherweise einen Nikon Coolscan 4000-Scanner eines Freundes verwenden, der ganze Rollen einscannen kann und dabei mittels Infrarot Fussel entfernt. Dennoch hat das Scannen der über 4.000 Einzelbilder fast eine ganz Woche gedauert und viele Nerven gekostet. Aber immer, wenn wie von Zauberhand das Bild erschien, wurde man für diese Mühe entschädigt. Mit Final Cut Pro X habe ich dann die Einzelbilder montiert, wobei die stummen Bilder erst durch den richtigen Rhythmus zu Musik werden.

Bei der Beschäftigung mit der Lomographie und auch als Reaktion auf meinen Film las ich immer wieder: „Wieso denn Lomokino, wenn man richtig mit Schmalfilm drehen kann?“ Ich erinnerte mich an die alte Quartz DS8-3 meines Vaters, die 25 Jahre unbenutzt auf dem Dach- boden lag, kaufte Fomapan R100-Filmmaterial und zog mit Stativ beherzt in den Wald vor meiner Haustür. Eine gute Gelegenheit zur Umsetzung eines lange gehegten Projekts: Die Verfilmung von Auszügen aus Walden von H.D. Thoreau. Thoreau ging damals für ein paar Jahre in den Wald, um wieder ursprünglich leben zu lernen. Sehr passend, denn mit der gänzlich metallenen Federwerkkamera ging es mir ähnlich. Back to the roots. Zunächst war auch Ton geplant, allerdings wäre er wegen der nahen Autobahn unbrauchbar. Just an diesem Tag war aber alles in Bewegung, der Wind in den Blättern machte die Musik ganz ohne Ton. Aber erneut Ernüchterung bezüglich der Technik: das Filmmaterial, dicker als das ORWO-Material von einst, lief nicht immer sauber durch die Kamera. Durch mein Engagement im örtlichen Kinoverein, der nur Analogfilm zeigt, kannte ich aber den richtigen Ansprechpartner: Schmalfilmtechnik Berger im sächsischen Flöha. Durch eine simple Veränderung der Federung an der metallenen Andruckplatte, läuft der Film nun wieder vollständig durch. Auch bei der Suche nach einer guten Abtastung bin ich auf einen wahren Geheimtipp gestoßen: die spanische Firma Ocho y pico. Unkompliziert, günstig und mit bis ins letzte Korn hervorragenden Ergebnissen wurde das Material dort in HD abgetastet.

Die Arbeit am so entstandenen Film, I Went To The Woods, Because… (Ich zog in den Wald, weil…), war aber nur ein Test für ein weitaus schwierigeres Projekt: Ich drehte Melancholia, nach einem Gedicht des Neulatinisten Jacob Balde aus dem 17. Jahrhundert. Balde wurde einst als „deutscher Horaz“ gerühmt und ist heute zu Unrecht fast vergessen. Dabei ist er absolut aktuell: im Wesentlichen berichtet er von der Enge seiner Zeit und einer möglichen Flucht ins Geistige, in die Poesie, die Literatur. Für die verschiedenen Seelenzustände zeige ich Entsprechungen in Natur und Architektur. Da Balde Professor in Ingolstadt war, habe ich den Film auch dort gedreht, an Orten wo er vielleicht selbst spazieren gegangen ist. Der Film sollte wirken, als wenn es zu Zeiten Baldes schon den Kinematographen gegeben hätte. Die größte Hürde war diesmal nicht techni- scher, sondern sprachlicher Natur. Bei meinen Filmgedichten verwende ich immer die Originalsprache, so auch bei Melancholia, das in Latein verfasst ist. Wie aber sollte ich den Abspann gestalten, gibt es doch keine eindeutigen Begriffe für moderne Vokabeln wie Abtastung, Entwicklung etc.? Hilfe kam aus dem emsigen e-Lateinforum, wo ein wahrer Wettstreit um die korrekten Übersetzungen der Filmvokabeln für den Abspann entbrannte. Schön, dass man im Internet soviel Hilfe finden kann. Auch im Filmvorführerforum half man mir stets bei technischen Problemen.

Als nächstes war ich auf Studienreise in Rom, und natürlich war auch meine Kamera dabei. Diesmal war es eine modernisierte, sehr handliche Nizo S2, der Christophe Goulard von Re:Voir ein Wählrad für die Filmempfindlichkeit eingebaut hatte. Aufregend war der dann doch gar nicht dramatische Sicherheitscheck am Flughafen: Keiner störte sich am ungewöhnlichen Handgepäck. Als Gedicht hatte ich mir schon vor der Reise Goethes Saget Steine mir an herausgesucht. Sehr passend, denn darin gilt die Liebe mehr als alle Kunstgenüsse. Da die Liebe Farbe braucht, habe ich mit Ektachrome 100D-Farbfilm von KODAK gedreht, der bereits der Vergangenheit angehört. Rom ist natürlich voller herrlicher Motive. An einer Stelle habe ich aber auch einen Kommentar zum Niedergang des italienischen Kinos gebracht. Gerade für einen Schmalfilmer und Filmfan ist es traurig, wenn man immer wieder an geschlossenen Kinotempeln vorbeiläuft.

Für mich war und ist das Filmen mit analogem Material eine herausfordernde, beglückende Sache, oder wie Antonin Artaud sagte: „Das Kino bedeutet eine totale Umkehrung von Werten, eine vollständige Umwälzung von Optik, Perspektive und Logik. Es ist erregender als Phosphor, bezaubernder als die Liebe“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Cine 8–16, Nr. 29, März 2014.

2 Kommentare

Klaus Schreier Veröffentlicht am07:52 - 24. Januar 2019

Schade beim Lomo-Kino ist nur, daß man das finale Ergebnis nur digital erleben kann.
Man bräuchte einen entsprechend modifizierten 35mm-Projektor (Schaltschritt, Bildfenster und Geschwindigkeit) – dann könnte man mit Dia-Film loslegen… vielleicht wäre das ein Projekt für Marco Kröger ?

    Patrick Müller Veröffentlicht am11:52 - 24. Januar 2019

    Das stimmt. Allerdings ist der überwiegende Workflow heute eben digital, was auch nicht schlecht ist, weil man mit Negativfilm so einige der Belichtungsprobleme der Lomokino ausgleichen kann. Denn mit f5,6 und f8 als Blenden ist man schon arg eingeschränkt und es kommt oft zu Unter- oder Überbelichtungen. Durch diese Reduzierung und bewusste Inkaufnahme von Wacklern, ausgelassenen Bildern und Belichtungsfehlern mit der vignettierenden Plastiklinse macht die Kamera in ihrer schieren Unberechenbarkeit aber auch großen Spaß. Lomography kann mittlerweile auch die Filme im richtigen Cinemascope-Format und guter Auflösung scannen, das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Wer dennoch mit Diafilm filmen möchte, – der neue Ektachrome mit seinem großen Belichtungsspielraum wäre prädestiniert dafür –, kann den Handbetrachter Lomokinoscope nutzen. Damit kann man seine Filme selbst auf analoge Weise anschauen, was großen Spaß macht. Das ist dann die unkomplizierteste Weise. Einen neuen Projektor zu bauen würde enorm viel Arbeit bedeuten, für die man erstmal Zeit finden muss. Vor Jahren gab es da mal ein ähnliches französisches Kickstarterprojekt mit einem Holzprojektor, dass aber nicht finanziert und realisiert wurde. Es ist eben doch die Nische in der Nische.

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