Einem 1972er ECN-1 Film bewegte Farben entlocken

Einem 1972er ECN-1 Film bewegte Farben entlocken

Kubrick schoß „Barry Lyndon“ und Copolla den ersten Teil des „Paten“ auf der 35mm Version 5254. Die Beatles drehten ihren letzten Film „Let It Be“ inklusive des berühmten Dachkonzerts auf der 16mm Variante 7254. Und ich wollte ihn nun in Fotokameras und die Krasnogorsk füllen. Die Rede ist vom Eastman Color Negative 7254, einem ECN-1 Film, der von 1968 bis 1974 (und nochmals eingeführt bis 1976) hergestellt wurde.

ECN-1 Filme benützten noch eine andere Chemie und einen langsameren, kühleren Prozess, bis das alles 1974 durch die Einführung von ECN-2 obsolet wurde. Immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung stieß ich vor einiger Zeit auf zwei Ebay Angebote des Eastman 7254, eine 100ft Tageslichtspule und einige Wochen später dann zwei 400ft Rollen des 16mm Farbnegativfilms unbekannter Lagerung, allesamt mindestens 44 Jahre alt. Sehr lange belichtet und in schwarz-weiß entwickelt könnte man ja vielleicht noch was mit den Filmen anfangen, aber das reichte mir nicht. Ich wollte ihnen trotz fehlender Chemie Farbbilder entlocken und schlussendlich sogar ihrer eigentlichen Bestimmung zuführen und in meiner Krasnogorsk als Bewegtfilme verdrehen.

Die fehlende Farbchemie war aber nicht das einzige Problem, zu Beginn fand ich kaum Informationen zu den Entwicklungszeiten. Als Richtwert für die Belichtungszeiten wollte ich die bekannte Regel, pro Dekade des Alters um eine Blende mehr als ursprünglich angegeben zu belichten, nutzen. Der Eastman 7254 war im Neuzustand ein ISO 100 Film, nach rund 4,5 Dekaden hatte er wohl nur noch zwischen ISO 3 und 6. Für Fotos am Stativ kein Problem, nur fragte ich mich gleich, wie ich damit jemals Bewegtfilm mit 24 Bildern pro Sekunde in der Krasnogorsk schießen sollte?

Als erstes Versuchsobjekt diente mir der oben abgebildete 100ft Film, beim Öffnen der Filmdose begrüßte mich sogleich der ungeliebter Geruch von Essig, einige Lagen des Films klebten auch aneinander, fing ja toll an! Unbeirrt baute ich mir aber einen Adapter, um den 16mm breiten Film mittig in eine 135er Fotopatrone laden und für unterschiedlich lange Zeiten in einer Kleinbild Spiegelreflexkamera belichten zu können. An der 135er Patrone reichte ein kleines Stück 16mm Film heraus, das mit doppelseitigem Klebeband versehen war. Ebenso war der spezielle Vorspann mit Klebeband versehen, so konnte ich den eigentlichen 16mm Film sehr einfach im Finstern zwischen den zwei Enden festmachen und die Patrone aufspulen, bevor ich sie im Hellen in die Kamera einlegte.

Meine ersten Tests hatte ich mit ISO 3 belichtet und in Rodinal 1+25, 22°C für 5 Minuten entwickelt. Davor in Waschsoda gebadet, um den Remjet aufzuweichen, zum Schluss die Reste vorsichtig mechanisch entfernt. Noch unsicher, ob ich echte Farbentwicklung jemals schaffen könnte, hatte ich den alten Trichromie Trick angewandt und durch drei Filter, rot, grün, blau fotografiert.

Danach hatte ich die drei Bilder in Photoshop überlagert, ein interessantes Ergebnis, vor allem die hübsch bunten Perfolöchern in den inversen Grundfarben, die durch das Invertieren des Negativs nach dem Scan entstanden, gefielen mir gleich. Brauchbar waren diese Ergebnisse für farbigen Bewegtfilm zwar keineswegs, nur immerhin war eines so klar, der Film lebte und war bereit für weitere Experimente.

Leider war die erreichbare Schärfe des 16mm Films in der 35mm Kamera beschränkt, der Film konnte sich der Länge nach etwas biegen und er lag nie perfekt horizontal im Gate, was zu leicht schiefen Bilder führen konnte. So machte ich mich auf die Suche nach einer 110er Fotokamera, diese Modelle konnten ja mit 16mm Film beladen werden. Als ich auf Ebay eine Pentax Auto 110 fand, eine der wenigen 110er Spiegelreflexkameras, schlug ich sofort zu. 110er Film wird in spezielle Patronen geladen, daher musste ich erstmals eine solche finden, aufknacken und dann im Stockdunklen mit 76cm des Eastman 7254 beladen. Zudem hatte ich mir auf Ebay günstige alte Entwicklungstanks gekauft, die 16mm breiten Film aufnehmen konnten, da mir der große Lomotank für ein paar Zentimeter 16mm Film zu mühsam in der Benützung war.

Doch auch mit der Pentax Auto 110 ausgestattet war das Fotografieren nicht ohne Hindernisse. Die Pentax hat einen eingebauten Belichtungsmesser, der durch die Linse misst, bietet aber leider keinerlei Möglichkeiten, die Filmgeschwindigkeit auf niedrige ISOs einzustellen oder mittels B-Modus beliebig lange zu belichten. Ich fand aber bald heraus, dass ich den Belichtungsmesser austricksen konnte, um so bis zu einer Sekunde lang zu belichten. Schnell entwickelte ich wieder einen meiner üblichen Hacks. Mehrere Schichten Filmanfang übereinander geklebt schluckten gerade so viel Licht, dass es dem Unterschied zwischen der von der Pentax angenommenen Filmempfindlichkeit und meinen angepeilten ISO 3 entsprach. Blieb nur noch das Problem, dass das Verdecken des Belichtungsmessers gleichzeitig die Linse verdeckte und das resultierende Bild eben auch noch dunkler machte. Meine Lösung? Ich hielt meine Filmanfänge vor die Linse, drückte ab und zog sie wieder blitzschnell aus dem Bild. Dieses Foto hier ist eines meiner besten Ergebnisse mit dem Eastman 7254 in der Pentax (es wurde sogar jüngst in Graz von einer Fotogalerie ausgewählt und ausgestellt).

Ich hatte neben diesem Foto noch einige weitere Testaufnahmen auf einem separaten Streifen des Films gemacht und beide Filmstücke in zwei unterschiedliche Tanks geladen. Nachforschungen im Internet bezüglich des zur damaligen Zeit geläufigen Fotofilmprozesses C-22 zeigten, dass deutlich tiefere Temperaturen und längere Zeiten als bei C-41 oder ECN-2 genutzt wurden. Durch Vergleiche und Extrapolation landete ich bei 20-22°C und 12 Minuten für den Farbentwickler, ebenfalls 12 Minuten für den Bleichfixierer und dann noch eine Minute für das Stabilisierbad. Ich nahm das übliche Tetenal C-41 Kit und siehe da, der eine Teststreifen zeigte doch wirklich erste Farben, dann noch den zweiten Streifen mit dem obigen Bild entwickelt und das Staunen war groß, es schien ja tatsächlich zu klappen, diesen 1973er Eastman 7254 in Farbe zu entwickeln!

Es folgten ein paar weitere Versuchsfotos, wer einige Beispiele sehen möchte, der findet diese auf www.filmcurl.com, doch mein weiteres Bemühen ging dann bald in Richtung Bewegtfilm. Erste Versuche von ein paar Sekunden Filmlänge endeten in extrem unterbelichteten Ergebnissen, die sehr stark ins Rote kippten, kein schöner Anblick. Danach schnappte ich mir eine der 400ft Rollen, um sie auf mehrere 100ft Tageslichtspulen für die Krasnogorsk aufzuteilen und auch in Fotokameras zu testen. Dieser 400ft Film war wohl ähnlich zum ersten 100ft Film gelagert worden, er stank genauso stark nach Essig und war ebenso klebrig. Wie sich später herausstellte war er aber aus 1972, also noch ein Jahr älter. Fotoversuche damit brachten teils gute, teils sehr enttäuschende Ergebnisse, doch das Ziel des Bewegtfilms konnte ich trotzdem nicht vergessen.

Eines Tages im Urlaub war es dann soweit, das Wetter war erstaunlich schön, es gab genug Sonne um bei ISO 3 fast die 1/60s Belichtungszeit erreichen zu können, das würde für 24 Bilder pro Sekunde in der Krasnogorsk gerade noch so reichen, beziehungsweise nur etwas unterbelichten. Mit offenster Blende ging ich herum und drehte einen ersten Testfilm. Zuhause entwickelt sah das Negativ aber nicht sonderlich vielversprechend aus. Projiziert, digital abgefilmt und invertiert bekam ich nur grauenvolle Farben, ich war schon knapp davor aufzugeben. Zum Glück fiel mir mein Fotoscanner ein, der mir folgendes Resultat bescherte.

Von diesem und anderen Ausschnitten beigeistert fasste ich den Beschluss, das Negativ doch noch professionell scannen zu lassen und schickte es zu Ochoypico nach Madrid. Ein paar Szenen des Negatives, vom 4k Scan auf 1080p herunter gerechnet, können hier angesehen werden:

Ein tolles Ende einer langen Reise… doch ich will noch weiter machen! Was folgt nun in Zukunft? In der Zwischenzeit konnte ich noch vier weitere Eastman 7254 100ft Rollen auf Ebay finden, ich besitze immer noch die zweite 400ft Rolle, etwas von der ersten 400ft Rolle und sogar noch ein bisschen von der ersten 100ft Rolle. Die vier neuen 100ft Rollen sehen äußerlich wunderschön aus und die eine Dose, die ich bisher geöffnet habe, roch auch nur angenehm nach Film. In den nächsten Tagen möchte ich, hoffentlich bei gutem Licht, mit meiner Krasnogorsk damit filmen.

Durch diverse weitere Experimente konnte ich inzwischen auch herausfinden, dass man das Negativ sogar umkehrentwickeln kann und auch, dass man es, zum Beispiel in einer Bolex H16, auf ein weiteres Negativ kontaktkopieren kann. Wenn alles weiterhin klappt wird es also in Zukunft wieder einiges zu berichten geben!

7 Kommentare

Dagie Veröffentlicht am13:26 - 30. Dezember 2018

Klasse! Vielen Dank für den ausführlichen Erfahrungsbericht!!!

    Bernhard Kipperer Veröffentlicht am17:15 - 30. Dezember 2018

    Danke! Hatte so viel Spaß beim Experimentieren, da musste ich einfach mal hier darüber schreiben!

Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am16:50 - 30. Dezember 2018

Übrigens ein in Chalon, Frankreich hergestellter Film, den Du da verwendet hast… 🙂

    Bernhard Kipperer Veröffentlicht am17:15 - 30. Dezember 2018

    Stimmt genau! Deswegen hab ich grad diesen bestimmten Scan des Negativs hier reingestellt, weil man Jahr und Herstellungsland an den Codes am Filmrand erkennen kann 😉

Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am16:54 - 30. Dezember 2018

Super clever finde ich übrigens, wie Du die verbliebene Empfindlichkeit der drei Schichten zuvor einzeln mit Filtern getestet hast. Was hast Du dabei für Farbfilter verwendet? Lee-Filter?

    Bernhard Kipperer Veröffentlicht am17:21 - 30. Dezember 2018

    Ich hab mir vor einiger Zeit einmal ein Set von diversen Farbfiltern auf Amazon gekauft, ganz billige Folien, von einem unbekannten Hersteller. Da gab es dann Farben, die unterschiedlich hell und dunkeln waren, damit hab ich experimentiert.

      Friedemann Wachsmuth Veröffentlicht am17:27 - 30. Dezember 2018

      Super Idee. Weil man so im Grunde auch den Fog pro Schicht bestimmen und dann gezielt gegensteuern kann. Yay, collaboration! 🙂

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