Von zwanghaftem Wesen: Pentaflex 8 – (Teil 1)

Von zwanghaftem Wesen: Pentaflex 8 – (Teil 1)

Das untersuchte Exemplar trägt die Nummer 35933; mit Pentovar, Nr. 6355608. Auf der Rückseite der Selenzelle finde ich als Bestätigung ELECTROCELL Dez. 1963 aufgestempelt. Die Jahreszahl kann also der Seriennummer entnommen werden. Auf der Innenseite des Gehäuses ist die Nummer 1675 eingeschlagen. Reihe 1, Exemplar 675
Die Zelle stammt von der 1933 gegründeten Electrocell-Gesellschaft Falkenthal & Presser, Berlin-Dahlem, das Drehspulinstrument vielleicht aus Erlangen.

Der Neupreis war 1960 1000 Mark beziehungsweise DM 1080, mehr als zwei durchschnittliche Monatslöhne.
Die Pentaflex 8 ist ein Hecklader, das Bildfenster nur schwer erreichbar. Da mit Pinsel oder Bürste hineinstochern, ohne recht etwas sehen zu können, ist eine Zumutung. Die Seitenführung will geprüft und gesäubert werden. So sieht der Filmkanal aus, eben erst abgenommen. Der starr geführte Greifer der Pentaflex 8 setzt in der Position +2 ab. Projektoren, deren Geometrie diesem entsprechen, sind mir nicht bekannt.

Spulen nimmt die Kamera nicht auf, man ist zur Verwendung des Blechladers gezwungen. Dieser wird beim Herausziehen aus der Kamera lichtdicht verschlossen. Die Filmvorrat-anzeige sitzt im Lader, sie ist durch ein Bullauge in der Kamera ablesbar.

Die Pentaflex 8 besitzt eine Einzelbildanzeige, das ist sehr positiv. Negativ daran ist, daß sie bis 77 geht. Wie kann man nur?! Der Bezug zum Filmfuß ist damit vertan. Beim 8-mm-Film umfaßt ein Fuß 80 Bilder, was bei der Bild-frequenz 16 schön fünf Sekunden entspricht. Das Federwerk zieht 2,75 Meter durch, 720 Bilder oder 45 Sekunden. Das umlaufende Federhaus erlaubt Nachspannen während der Aufnahme, geräuscharm dank Klauen-anker. Die Bilderzahlen sind direkt auf ihm angebracht und durch ein Fenster im Gehäuse zu sehen. Niemand hat die Beziehung zwischen Federhauszahnung und Film noch ein Mal überlegt. 143 Zähne müßte nicht sein. Man hätte das Getriebe aber neu rechnen müssen. Falls man eine Federhausumdrehung mit 80 Schaltungen gleichsetzen will, muß man auf Primzahlengetriebe verzichten. 143 ist keine Primzahl, enthält aber die Primzahlen 13 und 11.

Wer glaubt, die Bildfrequenz könne stufenlos verstellt werden, braucht die Kamera nur laufen zu lassen und den Tempoknopf zu drehen. Der Mechanismus verharrt jeweils bei einer Geschwindigkeit und beschleunigt oder verlangsamt über Stufen. Im Innern sind fest eingestellte Anschläge auf einer Kurvenscheibe vorhanden. Es gibt keine Zwischenwerte. Als Konstruktion ist das natürlich sparsam, aber leicht irreführend. Eine Bohrung, eine Rastkugel, eine Feder und fünf runde Dellen im unterliegenden Blech gäben Klarheit.
Es läßt sich ein Elektromotor ansetzen. Dafür sind zwei Gewindebuchsen im Gehäuse vorhanden. Die 1-1-Welle ist mit einem Schieber überdeckt. Ein Motorträger muß zwei Schrauben M 3 im Abstand von 90,5 Millimetern haben. Die Einerwelle hat eine Gewindebohrung M 2,5 hinter Absatz Ø 3 × 1,25 und beidseits davon eine Nut 1,5 × 2. Mit Elektroantrieb ist beliebige Geschwindigkeit bis etwa 64 B./s möglich. Der Fliehkraftregler wird auf größtes Tempo gestellt.


Der Gehäuseboden ist sehr ungünstig gestaltet. Eine so schwere Kamera müßte eine große Standfläche haben. Sie wiegt leer und ohne Optik 1390 Gramm, geladen und mit Pentovar 2,1 kg. Man will Lader tauschen, die Feder im Lauf nachspannen, einen Elektromotor verwenden können, ohne das Gerät zu verschieben. Die eigentliche Auflage ist kreisrund und hat den Durchmesser 20 mm, Fläche 314 mm2. Die Gehäuseunterseite würde aber 58 mm auf 116 mm bieten, 6728 mm2 oder mehr als das 20-fache. Die Oberflächen der runden Auflage und des rechteckigen Gehäuseabsatz liegen alles andere als in einer Ebene.

Mit Loctite gesicherte Mutter auf der Gegenseite

Die Pentaflex 8 hat als einzige 8-mm-Film-Kamera einen rotierenden Spiegelverschluß. Die Nizo-Heliomatic 8 Reflex, Ercsam-Camex Reflex 8 und Beaulieu Reflex 8 haben auf und ab gehende Spiegelschieber, die leicht ungleichmäßige Belichtung über die Bildhöhe bewirken. Die Dresdnerin stünde hier auf einer Stufe mit professionellen Spiegelreflex-Kinekameras. Eine Angabe zum Öffnungswinkel zwischen den Flügeln ist weder im Prospekt noch in der Bedienungsanleitung zu finden. Gemäß der Tabelle in der Anleitung würde er 172,8 oder 177,2 oder 184,3 oder 192 Grad betragen. Was für wirre und falsche Werte!

Nach meiner Messung sind es 50 Grad, also auf ein Bild bezogen 150 Grad. Wegen der schrägen Aufstellung des Verschlusses verringert sich der wirksame Öffnungswinkel noch leicht über die Bildbreite von links nach rechts, im projizierten Bild von rechts gegen links hin. Mit dieser geringen Abweichung sind alle diese Konstruktionen behaftet. Zu sehen ist sie nicht. Aus dem Verhältnis 360º zu 150º kann man die Belichtungszeit ausrechnen:
2,4 × 16 Bilder pro Sekunde = 1/38,4 Sekunde; gerundet 1/40, nicht 1/30.
Im Prospekt wird von einem 30fach vergrößernden optischen System geschrieben, was nicht zutrifft. Die Vergrößerung des Sucherausschnittes ist 15fach, zumindest bei dem mir vorliegenden Exemplar. Es ist ein Luftbildsucher, es gibt keine Mattscheibe, wie im es im Prospekt heißt. Um den Preis eines Helligkeitverlustes böte eine Mattscheibe deutlich sichere-res Scharfstellen. Folgendes Unglaubliches steht in der Anleitung:

Wozu denn ein Reflexsucher? Es muß gesagt sein: Ein Spiegelreflexsucher ohne Mattscheibe entzieht dem professionellen Anspruch jede Berechtigung. Wenn man keinen Lichtverlust im Sucher haben will, dann braucht man eine Schnittbild- oder Mikroprismeneinrichtung. Warum keine Einstellscheibe den Weg in die Pentaflex 8 gefunden hat, kann ich hier vom Angenstein an der Birs aus nicht beantworten. Das Schnittbildsystem war schon lange Allgemeingut, alle Patente abgelaufen. Wir lesen in der Anleitung auf Seite 5:

Das Fadenkreuz soll nicht scharf abgebildet, sondern scharf zu sehen sein, dies nur als Bemerkung zu Begriffen.

Tückisch ist das Axialspiel in der Lagerung der Verschlußwelle. Es kann unter Umständen zu Schärfesprüngen kommen, weil nach Mechanikgrundsatz richtig ausgeführt das Spiel der Kegelzahnräder vom Eingriff weg geht und somit unter Anhebung des Spiegelverschlusses sich auslebt. Es geht um einen Zehntel.

Paßscheiben und eine Federscheibe (Pfeil) halten die Welle in der gewünschten Lage, die Dicke des Spiegelglases ist auf den Hundertstel einbe-zogen. Beim Anlauf kann es vorkommen, daß die Spannkraft der Federscheibe überstiegen wird, dann fliegt die Schärfe des Sucherbildes weg. Das ist nach meiner Messung der Fall bei etwa 1,5 Newton. Bei ruhendem Mechanismus, also zum Scharfstellen vor der Aufnahme, gibt es kein Problem. Wegen der Federspannung läuft die Verschlußwelle etwas schwer.


Dann entdecke ich etwas ganz Verkrampftes. Das Trägerstück der Verschluß- und Greifergruppe ist mit dem vorderen Gestell in einem Bereich neben und über dem Bildfenster verstiftet und verschraubt (gelbe Pfeile). Sonst gibt es keine Berührung zwischen diesen Gruppen. In Bezug auf die Verzahnungen Verschluß-Zwischenrad und Greifer-Zwischenrad muß man das als fliegenden Aufbau ansehen. Ein schräg unter Lack angestelltes Rundstäbchen stützt das Trägerstück am unteren Ende. Man verließ sich nicht auf ausreichend genaue Bearbeitung oder, wahrscheinlicher, fügte den Zugang zur Greiferwelle hinzu, nachdem die Druckgußteile schon vorlagen, die selbe extrem leichte Legierung übrigens wie bei der Pentaka 8.

Mit dem Stützstab, in einen mit dem Gestell verschraubten Stahlklotz lackiert eingeschraubt, konnte man gleichzeitig den Spiegelverschluß um eine undefinierte horizontale Achse justieren, das Spiel der Verzahnung be-einflussen und radiale Kräfte, die auf die 1-1-Welle wirken, abfangen. Bei einer solchen Aufgabenverschränkung sträuben sich mir die Haare, denn optische und dynamisch-mechanische Lösungen gehören nicht zusammen. Den Verschlußlagerträger müßte man so großflächig wie möglich befestigen, seine Feineinstellung bei Verbesserungen bei der Fertigung ablegen oder das Trägerstück unterlegen. Anhebeln verstifteter Kuben finde ich widersinnig. Kegelgetriebe dürfen etwas mehr Spiel haben, da ist ausreichend Freiheit drin. Nur geht es gleichzeitig um ein Kegel- und ein gerades Stirngetriebe.

Der Klotz hält nur unter dem Zug von zwei Schrauben, es gibt keine Verstiftung.

Der Selbstauslöser verbindet mit der Vorkriegzeit, mit der Movikon 16 von Zeiss-Ikon. Ich glaube, man hätte ihn zu Gunsten einer offeneren Front weglassen können.
Die Pentaflex war nämlich, wie Marco Kröger ausführt, mit Objektive-Revolver geplant gewesen. Dann kamen das Altix-V-Bajonett und überdimensionale Tüten für Weitwinkel- und Normaloptik. Warum man sich bei Pentacon nicht auf das D-Gewinde oder das M-13-Kurzgewinde herablassen konnte, ist nicht einzusehen. Es hätte nicht von zurückspringenden Objektiven abgehalten, dafür die Offenheit gebracht, die professionelle Erzeugnisse kennzeichnet. Der Druck Richtung Zoom-Optik war damals offensichtlich übermächtig. Die im selben Jahr auf den Markt gebrachte Agfa-Movex Reflex 8 trägt ebenfalls ein dickes, schweres Vario-Objektiv. Es durfte einfach nicht sein, daß Berthiot und Angénieux mit Zoom-Objektiven auftrumpfen. Zeiss mußte auch eines haben, ein besseres und licht-stärkeres. Wenn man sieht, wie heute mit dem Smartphone Bilder aufgenommen werden, millionenfach, mit winzigem Objektiv, f/2.4 oder f/2.2, dann schüttelt man innerlich den Kopf. Der optische Zoom ist schwer aus der Mode gekommen.
Die Anlage wirkt auf mich wie ein Zwischenmodell für spätere, noch stärker integrierte Kameras der Super-8-Zeit. Nach ostasiatischer Manier lackierte Schrauben und Bleche zur Befestigung optischer Teile bedeuten Verlust der Einstellungen, falls man vollständig auseinandernimmt. Das ist unumgänglich für die Reinigung. Um an den Spiegelverschluß heranzukommen, muß man schon recht weitgehend auseinandernehmen. Servicefreundlichkeit ist bei der Pentaflex 8 nicht gegeben und das Schmierkonzept ist wirr. Kunststoffgetriebe sollen trocken oder mit Wasser geschmiert laufen. Wenn man sie fettet, setzen Fettteile sich in ihnen fest, oxidieren und beginnen irgendwann zu kleben. Man kriegt das kaum mehr weg und die Kunststoffzahnräder sind nicht mehr erhältlich.

Der Entwurf stammt aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Im Grunde ist die Pentaflex 8 eine Federwerk-ARRIFLEX mit Dreiflügelverschluß, angeschraubtem Deckel und Schub-lader. Im Ganzen steckt ein Zwang zur Exzellenz, die doch nicht eingelöst wird. Auf „internationalen Märkten“ (Kröger) gab es manches besser durchdachte Produkt, viele gute Ideen. Die quere Movikon 8 bietet freien Zugang zum Filmkanal, die GIC 8 nimmt die doppelte Filmlänge auf, die Camex 8 bietet Langzeitbelichtung von Einzelbildern, der Bell & Howell Filmo 8 T Genaueinstellung auf Mattscheibe, die Paillard-Bolex H-8 unbeschränk-te Filmbewegung rückwärts wie vorwärts, die Specto 88 lief schon seit zehn Jahren länger als eine Minute, die japanische Sekonic-Dualmatic 8, auch von 1963, macht das zweite Film-einlegen überflüssig ohne Lader. Klar, wenn vor Weihnacht 1963 jemand in Halle oder in Zinnowitz auf Usedom beim Fotografen Walter Adrion nach der Dualmatic gefragt hätte, wäre auf der anderen Seite des Tresens wohl eine Augenbraue hochgegangen. Meine Augen kneife ich zu vor der Pentaflex 8. Gerechterweise: Die Dualmatic fällt bei der Optik weit ab.

Bei Pentacon war die Führung vom Volk gleich abgehoben wie überall sonst. Wozu drückt man denn Schul- und Hochschulbank? Man will zur Nomenklatur gehören, weißes Hemd und Hut tragen, Braten essen. Das geht nur mit Anpassen und Mitmachen, wie im Westen. Die friedensblaue Plaste und der hellgraue Lack sind ab, zum Vorschein gekommen ist ein weiteres Produkt des Technik-Transfers im kalten Krieg. Ich bin immer wieder sprachlos ob der geistigen Leere jener Jahre, zum Beispiel vor einer Früchteschale aus Glas mit goldfar-benem Auftrag am Rand, nichts anderes als ein Schneckenrad mit gerade gestellten Zähnen.

Simon Wyss

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