Die Nachricht, dass der italienische Filmhersteller Ferrania wiederbelebt wird, schlägt hohe Wellen in der Schmalfilmszene, denn auch neue 8- und 16mm-Umkehrfilme sind angekündigt. Ein Gespräch, das Bellamy Hunt vom Blog Japan Camera Hunter mit Nicola Baldini, Filmemacher und Mitbetreiber der neu gestarteten FILM Ferrania, führte, beantwortet viele offenen Fragen. Wir veröffentlichen es hier in deutscher Übersetzung, mit freundlicher Genehmigung von Bellamy Hunt!
Nicola, was kannst Du unseren Lesern über Ferrania und Ferrania-Filme berichten?
„Ferrania“ ist immer noch ein gut bekannter Name: So heisst eine berühmte italienische Firma mit einer großen Tradition und einer langen Geschichte exzellenter Industrieprodukte, trotz ihrer Schwierigkeiten in der jüngsten Zeit.
Die Geschichte Ferranias als Teil der italienischen Kinofilmproduktion begann kurz nach dem ersten Weltkrieg, als die Sprengstofffabrik SIPE auf die Herstellung von Zelluloid umgestellt wurde und sich in FILM Ferrania umbenannte. (Die Chemie des damaligen Filmträgermaterials glich der von Sprengstoffen stark.) In diesen frühen Jahren eroberte sich Ferrania schnell die Marktführerschaft im Inland und übernahm 1932 den berühmten Mailänder Fotoplatten-Hersteller Cappelli.
In der Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs feierte Ferrania die größten Erfolge der Firmengeschichte. Man brachte den berühmten „Ferraniacolor“ auf den Markt. Er gesellte sich zum bereits berühmten Ferrania-Schwarzweissfilm, dem Star vieler italienischer Kino-Meisterwerke dieser Zeit – von Pasolini, De Sica und anderen.
1964 ging Ferrania ins Eigentum des multinationalen 3M Ferrania-Konzerns über. Einerseits wurden so neue Märkte erschlossen, andererseits begann damit der schleichende Abschied von der Kinofilmindustrie, weil man sich ausschließlich auf den Massenmarkt für Amateurfotografie konzentrierte.
1996 fiel Ferrania unter die Firma Imation, in die 3M seine Produktion für die graphische und medizinische Industrie ausgliederte. 1999 wurde Ferrania an die Private Equity-Firma Schroder Ventures (Permira) verkauft und ging danach unter dem Namen Ferrania Technologies zurück in italienischen Besitz (der Messina-Industriegruppe aus Genua).
Nach einer Reihe Verkäufe von Firmenimmobilien und -maschinen wegen der Krise des traditionellen fotografischen Films im Würgegriff der Digitaltechnologie, gibt es jetzt uns mit der Firma FILM Ferrania. Neben dem ursprünglichen Firmennamen hat sie die Abteilung Photocolor Ferrania Technologies übernommen und will die historische Marke Ferrania im Bereich des analogen Films wiederbeleben.
Stimmt es also wirklich? Wird Ferrania wieder Film herstellen?
Sehr gerne beantworte ich diese Fragen, bitte aber vorab um Entschuldigung, wenn ich manchmal nicht ins Detail gehen kann, weil die ein oder andere Information noch vertraulich ist und wir andere Dinge selbst noch nicht wissen!
Zur ersten Frage, es stimmt absolut, dass in Kürze – und im Gegensatz zum heutigen Trend – ein neuer Filmhersteller auf den Weltmarkt zurückkehrt. Ein Hersteller mit einer Familiengeschichte, die nicht minder stolz ist als die von Kodak oder Agfa. Wie wir auch in unserer ersten Pressemitteilung erklärt haben, sind wir faktisch noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase, weil Ferranias Fabrik die letzten Jahre lang stillgelegen hat und Maschinen neu hergerichtet und kalibriert werden müssen. Dabei fällt zusätzlich ins Gewicht, dass die Herstellungsprozesse bei Ferrania auf tausende von Arbeitern ausgelegt waren – zu Glanzzeiten hatte Ferrania 4000 Angestellte. Doch wenn wir auf dem heutigen Markt konkurrenzfähig sein wollen, brauchen wir einen kleineren, hochoptimierten Arbeitsablauf. Alle Angestellten der Abteilung Ferrania Photocolor wurden entlassen, als die Filmproduktion stoppte. Glücklicherweise waren einige von ihnen für uns noch verfügbar und sind sehr enthusiastisch bei diesem neuen Abenteuer dabei. Und zu guter Letzt sind noch Probleme zu lösen, die nicht an uns liegen, wie zum Beispiel neue EU-Verordnungen zum Chemikaliengebrauch. Trotz all dieser Herausforderungen sind wir optimistisch über die Ergebnisse. Unsere einzige Unsicherheit liegt in der Zeitplanung, aber wir werden unser Bestes dafür tun, dass unsere früheren und künftigen Kunden so bald wie möglich neue, begeisternde Produkte erhalten.
Wie kam es zur Entscheidung, diese klassische Marke zurückzubringen? Und wie habt Ihr das hingekriegt?
Es war wirklich eine Fügung des Schicksals. Ich bin Filmemacher und -produzent, aber auch leidenschaftlicher Anhänger des analogen Films, besonders in den Schmalfilmformaten. Marco Pagni Fontebuoni, mein Geschäftspartner, betreibt ein Labor für professionelle Kinofilm-Dienstleistungen. Vor ungefähr zwei Jahren nahmen wir Kontakt mit Ferrania auf, um Ausrüstung aufzukaufen, die dort vernichtet werden sollte. Bei dieser Gelegenheit lernten wir die Ferrania-Fabrik besser kennen und schätzen – gerade hinsichtlich der Anlagen und des hochqualifizierten Personals, das dort immer noch arbeitete. So stand am Anfang dieser ganzen Geschichte die Frage: „Was wäre, wenn wir, statt die Technik aufzukaufen und ins Ausland zu bringen, alles hier stehen lassen und versuchen, die Filmherstellung bei Ferrania mit den ehemaligen Angestellten neu zu beginnen?“
Welche Filme wollt Ihr zurück auf den Markt bringen?
In dieser ersten Etappe unseres Unternehmens haben wir wenig Alternativen. Unser erstes Ziel ist zu zeigen, dass Ferrania, selbst nach einer Schrumpfkur, wieder Film herstellen kann, auf demselben Qualitätsniveau wie früher. Entscheidend hierbei ist nicht die Qualität unseres Maschinenparks, denn der von Ferrania ist der ausgeklügelste und flexibelste, den es auf der Welt gibt, sondern die Optimierung der chemischen Formeln und Prozesse.
Zum Beispiel können heute einige der alten Chemikalien nicht mehr verwendet werden, weil sie europäischen Umweltgesetzen zuwiderlaufen. Darum ist es logisch, zuerst den modernsten Film, den die alte Ferrania herstellte, neu zu produzieren und so eine objektive Qualitätskontrolle der optimierten Herstellungsprozesse zu gewinnen. Wir wissen, dass der Markt zur Zeit einen guten Farbumkehrfilm vor allem für Schmalfilmformate braucht, und wir sind uns sicher, dass eine überarbeitete Neuauflage unseres klassischen Scotch Chrome 100 die Bedürfnisse der meisten Filmer und Fotografen befriedigen würde.
Neben dem Chrome werden wir den Farbnegativfilm Solaris FG-100 Plus in möglichst vielen verschiedenen fotografischen Filmformaten auf den Markt bringen. Wir kriegen häufig Fragen nach „ausgemusterten“ Filmformaten wie 126 und 127, und unsere Antwort lautet: Yes, we can! Sobald unser Geschäft gut genug läuft, wollen wir die Konfektionierung für diese Formate beginnen. Es liegt in unserem Interesse, sie herzustellen und zu verkaufen.
Abgesehen davon, gibt es viele wunderbare Produkte aus Ferranias früherer Geschichte, die wir gerne wieder vorstellen möchten. Mit der Unterstützung all der enthusiastischen Leute auf der ganzen Welt werden wir sie sicher wieder herstellen können.
Gibt es auch Zukunftspläne für völlig neue Filmsorten?
Ferrania steht bereit, eine strategische Rolle für die Zukunft des analogen Films zu übernehmen. Das beste, was wir jetzt tun können, ist, dem Markt, neue, frische, aber klassische Produkte anzubieten und damit ein starkes Signal an Verbraucher und Filmlabore zu senden, damit sie in diesen Sektor weiterhin investieren.
Nach dieser Anfangsphase planen wir spannende neue Produkte und Dienstleistungen, die das analoge Bildermachen in diesem Jahrhundert sicher voranbringen werden.
Welchen Film würdest Du wieder auf den Markt bringen, wenn Ihr Verkaufszahlen ganz außer acht lassen könntet?
Aus meiner eigenen verrückten Sicht, ohne jeden Zweifel: den wunderbaren schwarzweißen Pancro 30-Film, mit dem Pier Paolo Pasolini seine Meisterwerke drehte! Gibt’s mehr als drei oder vier Leute, die ihn gerne wieder haben würden?
Wo wird Deiner Meinung nach die Fotofilm-Industrie in zehn Jahren stehen?
In den nächsten Jahren wird Film ungeeignet für alle sein, die einfach nur Fotos schiessen oder einen Film aufnehmen wollen. Natürlich werden diese Leute Digitaltechnik einsetzen. Sie ist heute ein formidables Werkzeug für den Massengebrauch. In dieser Situation wird Film, so denken wir, ein Mittel der künstlerischen Wahl sein, genauso, wie ein Maler die Wahl hat zwischen Öl- und Aquarellfarben. Wer mit Film gegen die Digitaltechnik ankämpfen will, kämpft eine verlorene Schlacht, einen Kampf gegen diese Zeit. Es geht nicht um Megapixel, und vergesst bitte, wie sich Film äquivalent zu 2K, 4K oder 8K-Auflösungen verhält, sondern es geht ums Gefühl. Manche Leute entscheiden sich für Photoshop als künstlerisches Gestaltungsmittel, andere für spezielle Filme. Was ist daran verkehrt? Würde ein heutiger Michelangelo seinen David mit einem 3D-Drucker ausdrucken? Ja, klar. Aber ich bin mir auch ziemlich sicher, dass der weisse Marmor aus Carrara immer noch das Mittel seiner Wahl wäre.
Gibt es noch etwas, das Du den Filmfans in aller Welt mitteilen willst?
In den letzten Tagen habe ich dutzende E-Mails persönlich beantwortet und kann Euch nicht genug für Eure wunderbaren und begeisterten Reaktionen danken. Bitte lasst uns weiter Eure Wünsche wissen, und besonders auch Eure Eindrücke und Eure Kritik, wenn unsere Produkte auf dem Markt sind. Wir möchten mit unser Firma nahe bei den Kunden sein, unser Bestes tun und aus Fehlern lernen.
Übersetzung aus dem Englischen: Florian Cramer.
Copyright des Textes und aller Abbildungen bei Japanese Camera Hunter
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