Pip Chodorov, Jahrgang 1965, ist unermüdlicher und allgegenwärtiger Aktivist des Selbstmacher- und Experimentalfilms. Über sein Label Re:Voir vertreibt er Film auf Video – und verkauft auch Super 8-Kassetten an Filmemacher. Mit der E-Mail-Diskussionsliste Frameworks begründete das heute wichtigste internationale Diskussionsforum für Ankündigungen, künstlerische und technische Diskussionen rund um den analogen Experimentalfilm. Auf der ganzen Welt gibt er Vorträge über die historische und heutige Filmavantgarde und zeigt Filme, die in selbstorganisierten Filmwerkstätten entstanden sind. Sein abendfüllender Dokumentarfilm Free Radicals (2011) dokumentiert die neuere Geschichte des Experimentalfilms – und wurde mit einer 16mm-Bolex gedreht.
(Dies ist die Kurzfassung eines ausführlichen, auf Englisch geführten Interviews.)
Es nicht einfach, Dich unseren Lesern vorzustellen, weil Du so viele verschiedene Dinge zugleich tust!
Oh, Entschuldigung! (Lacht.) Ich habe als Sechsjähriger meine ersten Filme gemacht und seitdem nicht mehr damit aufgehört. Als Student zog ich aus Amerika nach Paris, weil es da die echte Filmwissenschaft gab. Damals gründete ich eine Firma für Filmveröffentlichungen auf Video, die heute Re:Voir heißt. Und als ich 1995 zum ersten Mal das Internet benutzte, fand ich Diskussionsforen zu allen möglichen Themen, aber nicht zum Experimentalfilm. Daher gründete ich die E-Mail-Liste Frameworks, die heute immer noch sehr lebendig ist, mit rund tausend Mitgliedern. Und 1996 war ich Mitbegründer der Filmwerkstätte L’Abominable in Paris.
Würdest Du Deine eigenen Filme Experimental- oder Avantgardefilme nennen?
Ich würde sie einfach Film nennen. Als Jugendlicher drehte ich dokumentarische, experimentelle und erzählerische Filme und veranstaltete Projektionen – es gab da keine Unterschiede. Ich verwende einen Begriff wie Experimentalfilm nur gegenüber Leuten, die diese Art des Filmemachens noch nicht kennen.
Ist Dein Dokumentarfilm Free Radicals nicht auch ein Versuch, deren Geschichte zu überliefern?
2003 oder 2004 sah ich in Cannes The Soul of a Man, Wim Wenders‘ Dokumentarfilm über Blues-Sänger, die völlig verarmt gestorben waren, aber die Musik wirklich verändert hatten. Da dachte ich mir – sollte man so einen Film nicht auch über Filmemacher drehen, die ähnlich wichtig waren, und noch leben? Ich wollte nicht nur ihre Filme, sondern auch sie selbst dem Publikum vorstellen: gute Freunde, und witzig obendrein. Ein abendfüllender Film über sie würde mehr Leute erreichen als meine Filmvorträge und -vorführungen, und mich überleben.
…sicher auch eine Funktion Deines „Re:voir“-Labels. Interessanterweise weigerst Du Dich, Filme auf DVD herauszubringen und ziehst VHS-Kassetten vor.
Das betrifft vor allem den experimentellen Film. Die Datenkomprimierung der DVD zerstört viel vom Bild. Ich habe VHS nie gemocht, aber wenn man ein wirklich gutes Beta-Videomaster von einem Film herstellt und davon eine VHS-Kopie zieht und auf einem guten Fernseher abspielt, sieht das auch wie der Film aus. DVDs hingegen haben ein sehr flaches Bild, viele Farben, Nuancen und Details gehen verloren. Wenn man sich für einen optischen Bildträger entscheidet, dann bitte gleich für BluRay.
Fast immer, wenn es mal wieder einen technischen Fortschritt gibt, der uns als das nächste große Ding angepriesen wird, stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass es billiger und schlechter ist, und alle dabei verlieren. Bei der Entwicklung von der LP zur CD zu mp3 ist das ja offensichtlich, man hat uns mit immer weniger abgespeist.
Und beim Film wiederholt sich das jetzt. Es sind wieder mal die Medien, die Presse und die großen Konzerne mit ihrer Gehirnwäsche, die uns weismachen wollen, dass Film tot ist. Die Gefahr ist, dass es wirklich passiert, sobald Leute das einmal glauben.
Siehst Du nicht die Gefahr, dass die Filmemacher-Szene, über die wir hier reden, zu sehr in eine Nostalgie für den analogen Film abdriftet?
Ich glaube, dass wir noch in einem goldenen Zeitalter leben, mit der freie Wahl, auf Film oder digital zu drehen. Und ich bin überzeugt, dass es Film noch so lange geben wird, wie wir leben.
Kodak ist eine sehr schlecht geführte Firma. Sollte sie scheitern, dann nicht, weil sie keinen Film mehr verkauft. Als Kodachrome eingestellt wurde, erzählte mir ein Kodak-Chef in Cannes, dass jährlich noch mehrere hunderttausend Dollar mit dem Material umgesetzt wurden. Das ist ein gutes Geschäft für eine kleine Firma. Aber für einen Großkonzern waren das Peanuts. Das Problem sind die Gehirnwäsche und die Großkonzerne.
Würdest Du Deine Filmarbeit, und die Filmkultur, zu der Du gehörst, eine Form von Widerstand gegen die Globalisierung nennen?
Ja, durchaus. Ich drehe zwar keine Filme darüber. Aber es ist unser Weise des Produzierens und des Vertriebs, die ich mehr eine Ökologie nennen würde als eine Ökonomie. Es ist Graswurzelaktivismus. Wir helfen einander, wo immer wir Können. Alle sind miteinander verbunden in dieser Art von Dritter Welt-Parallelwirtschaft.
Oft gewinnt man den Eindruck, dass das analoge Filmemachen insgesamt, nicht nur im Experimentalfilm, heute viel mehr mit der Materialität spielt – mit Kratzern, Lichtlecks, Bildzittern…
Für mich geht es nicht um Lichtlecks und Bildzittern, sondern darum, dass man etwas durch ein Medium mitteilen kann – sei es Farben beim Malen, Theater, Tanz, Film, Video. Und ein Medium wird zur Deiner Sprache, wobei jede einzelne Sprache bestimmte Dinge besser ausdrücken kann.
Film hat etwas, das mich immer anziehen wird. Wenn ich etwas filmen will, das mich bewegt, einen Sonnenuntergang, eine Person oder was auch immer, kann ich es damit festhalten. Und zwar so, dass die Emulsion sich chemisch verändert, wenn sie vom Licht getroffen wird, und sich wieder chemisch verändert – durchsichtig oder undurchsichtig wird -, wenn ich sie in einem Flüssigkeitsbad entwickele. Und wenn das Projektorlicht sie durchdringt und auf die Leinwand trifft, in Deine Augen springt und Hirnströme aktiviert, entsteht eine direkte physische Verbindung mit dem ursprünglich aufgenommenen Ereignis. Kein Schleier von Nullen und Einsen liegt dazwischen.
Kann aus alternativen Ökonomien wie Euren Filmlabors mehr als nur eine Subkultur wachsen, gerade in Zeiten, in denen das ganze Wirtschaftssystem einstürzt?
Solange wir nichtkommerziell bleiben, werden wir überleben, weil wir tun, was wir tun wollen, und das gefällt mir. Auch wenn Kodak aufhört, werden einige Filmemacher einen Weg finden, ihr eigenes Filmmaterial herzustellen, und wir machen weiter.
Das ist eine beinahe wörtliche Definition des Amateurs – jemand, der etwas aus Liebe zur Sache tut.
Ja. In diesem Sinne identifizierten sich auch die historischen amerikanischen Avantgardefilmer Maya Deren und Stan Brakhage als Amateurfilmemacher. Die meisten Leute hingegen verbinden damit Familienfilme. Aber was Du sagst, stimmt. Das ist Amateurkultur, aber im richtigen Sinne des Wortes.
Noch eine Interviewfrage auf Video: Pip Chodorov – Is there a film lab aesthetic?
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