“Kameras machen keine Filme; Filmemacher machen Filme. Verbessert Eure Filme nicht durch mehr Ausrüstung”. Dies schrieb die Avantgardefilm-Pionierin Maya Deren allen Amateurfilmern ins Stammbuch, und zwar schon mehr als einem halben Jahrhundert.
Maya Deren (1917-1961) war Mitbegründerin des amerikanischen Avantgarde- und Undergroundfilms. 1917 in Kiew als Eleanora Derenkowskaia geboren, wuchs sie ab 1922 in den USA auf. Nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Arbeit als Choreographin und Tänzerin fiel ihr 1943 eine Bolex 16mm-Kamera aus elterlichem Erbe in die Hände. Zwischen 1943 und 1948 drehte sie ihre tänzerisch-filmisch choreografierten Experimentalklassiker Meshes of the Afternoon, At Land, A Study in Choreography for the Camera, Ritual in Transfigured Time und Meditation on Violence. An den ersten beiden Filmen wirkte ihr Ehemann Alexander Hammid mit, geboren als Alexander Hackenschmied in Österreich und vor seiner Emigration Berufsfotograf und -kameramann in der Tschechoslowakei. Gemeinsam drehten Deren und Hammid auch einen Privatfilm über ihre Hauskatze, The Private Life of a Cat. Später wandte sich Deren dem Dokumentarfilm zu. Von 1947 bis 1954 drehte sie auf Haiti Divine Horsemen, einen 53minütigen Dokumentarfilm über Voodoo, der erst posthum uraufgeführt wurde.
Deren verstand sich zeitlebens als Amateurfilmerin, die ihre Filme – wie sie es ausdrückte – “mit Budgets macht, die in Hollywood gerade mal für die Lippenstifte reichen”. Sie engagierte sich auch in Amateurfilmvereinigungen. 1959 rief sie im Movie Makers Annual der amerikanischen Amateur Cinema League Filmer dazu auf, sich alle Besessenheit mit Profistandards und Filmausrüstung aus dem Kopf zu schlagen und besseren Gebrauch von ihrer filmerischen Freiheit zu machen.
Ein halbes Jahrhundert später hat Maya Derens Mahnruf nichts von seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil, angesichts endloser Technikdebatten und Dauerlamentiererei unter (analogen wie digitalen) Amateurfilmern war er vielleicht noch nie so zeitgemäß wie heute.
Amateur versus Profi
Die größte Hürde, vor der Amateurfilmer stehen, ist ihr Minderwertigkeitsgefühl gegenüber professionellen Filmproduktionen. Schon das Etikett “Amateur” klingt wie eine Entschuldigung. Doch bezeichnet dieses Wort – abgeleitet vom lateinischen amator, Liebhaber – jemanden, der etwas aus Liebe zur Sache tut anstatt aus wirtschaftlichen Gründen oder Zwängen. Und genau bei dieser Wortbedeutung sollte auch jeder Amateurfilmer beginnen. Statt neidisch auf die Drehbuch- und Dialogschreiber zu schielen, auf die gelernten Schauspieler, die aufwändigen Teams und Sets und auf die enormen Budgets des professionellen Films, sollte der Amateur den großen Vorteil nutzen, um den ihn alle Profis beneiden: Freiheit, sowohl künstlerisch, als auch physisch.
Künstlerische Freiheit bedeutet, dass der Amateurfilmer unter keinem Zwang steht, Drama und Schönheit seiner Bilder einem Schwall von Wörtern, Wörtern und noch mehr Wörtern opfern zu müssen. Keine Erzählhandlung muss erbarmungslos vorangetrieben und dem Zuschauer verständlich gemacht, kein Star oder Sponsorenprodukt ins gute Licht gerückt werden. Auch erwartet niemand von einer Amateurproduktion, dass sie ein gemischtes Massenpublikum neunzig Minuten lang fesselt, damit sich eine enorme Geldinvestition wieder auszahlt. So wie der Amateurfotograf kann sich der Amateurfilmer ganz der Poesie und Schönheit von Orten und Ereignissen widmen, sie festhalten und, da er eine Bewegtbild-Kamera nutzt, die weite Welt der Schönheit von Bewegungen erkunden. (Einer der Filme, die 1958 bei den Creative Film Awards ehrenwert erwähnt wurden, war Round And Square, eine poetische, rhythmische Bearbeitung der tanzenden Lichter von Autos, die eine Autobahn hinunterströmten, unter Brücken hindurch, usw.) Nutzt, statt Euch an einer mitreißenden Erzählhandlung zu versuchen, die Bewegung von Wind oder von Wasser, Kindern, Leuten, Aufzügen, Bällen usw. wie in einem Gedicht. Und nutzt die Freiheit, mit Bildideen zu experimentieren. Niemand kann Euch für Eure Fehler feuern.
Zur physischen Freiheit gehört die Freiheit der Zeit – und von budgetbedingten Abgabeterminen. Vor allem aber besitzt der Amateurfilmer mit seiner kleinen und leichten Ausrüstung eine Unauffälligkeit (für heimliches Drehen) und physische Beweglichkeit, um die ihn die mit ihren tonnenschweren Monsterapparaten, Kabeln und Kameracrews geschlagenen Profis durchaus beneiden. Vergesst nicht, dass noch kein Stativ gebaut wurde, das so wunderbar beweglich ist wie das komplexe System von Sehnen, Gelenken, Muskeln und Nerven namens menschlicher Körper – der, mit etwas Übung, eine enorme Vielfalt von Kameraeinstellungen und visuellen Aktionen ermöglicht. All das besitzt Ihr, und ein Gehirn obendrauf, in einem hübschen, kompakten, mobilen Gesamtpaket.
Kameras machen keine Filme; Filmemacher machen Filme. Verbessert Eure Filme nicht durch mehr Ausrüstung und mehr Mitarbeiter, sondern indem Ihr das, was Ihr schon habt, ausreizt. Die wichtigste Ausrüstung seid Ihr selbst: Eure beweglichen Körper, Euer Einfallsreichtum und Eure Freiheit, beide zu gebrauchen. Bitte gebraucht sie auch.
(Übersetzung aus dem Amerikanischen von Florian Cramer)
Related Posts