Kurzer Prozess: Uralte Ablauffilme gefügig machen

Kurzer Prozess: Uralte Ablauffilme gefügig machen

Auf der Filmbörse in Deidesheim erstand ich dieses Jahr 20 Rollen Kodak DS8-Film für einen mittleren, zweistelligen Betrag. Mehr hätte ich auch nicht bezahlt, denn es war völlig unklar, um was für Material es sich handelte. Die Kodak-typische Verpackung war spärlich beschriftet: “Eastman Ektachrome commercial Film SO-425” war alles, was der Karton neben der kryptischen DS8-Kennzeichnung “16/8S 2R 1-4” hergab. Keine Empfindlichkeitsangabe, keine Angabe zum Entwicklungsprozess, zur Farbigkeit, zum Alter. “SO-“ bedeutet bei Kodak lediglich “Special Order” und die SO-Code wurden leider oft wiederverwertet, sind also selten dokumentiert und eindeutig. Der freundliche Verkäufer wusste nur, dass die Filme aus einem Kopierwerksnachlass stammten. Allein die Tatsache, dass es sich um Tageslicht-Kameraspulen handelte, liess mich letztlich zugreifen.

Zuhause angekommen ging es erstmal ans Forschen.
Erst jetzt fiel mir auf, dass auf den Kartons ja “Ektachrome” stand, also sehr wahrscheinlich ein Umkehrmaterial drin steckt! Leider gibt es keinen Kodak-Film “4227”. Wohl aber findet man Unterlagen zum “commercial Film”, was tatsächlich ein Produktname war, keine Produktkategorie. Der Commercial Film ist ein flach graduierter, niedrig-empfindlicher Film, der ähnlich wie die später folgenden VNF-Filme nicht zur Projektion vorgesehen war, sondern zur Umkopierung oder ggf. auch zur Abtastung. Vermutlich handelt es sich um den 7252, eventuell auch noch um dessen Vorgänger 7255. Auch wenn die Emulsionsnummer einen 7256 vermuten lässt: Der ist es nicht, denn meiner hat Remjet (der 7256 nicht) und kam noch in Blechdosen, der 7256 wäre dafür zu jung. Diesen Typ Blechdoese kenne ich nur bei Filmen, die vor 1975 abgelaufen sind.

Der 7252 löste 1970 den 7255 ab, hatte seinerzeit 25 ASA (Tageslicht), ist extrem feinkörnig, sehr flach im Kontrast, hat leider Remjet und ist für den ECO-3 Prozess gedacht, der ein abgewandelter ME-4 Prozesses war. ME-4 entspricht dem E-4 Prozess, allerdings mit vorgeschaltetem Remjet-Removal-Bad. ME-4 ist zudem der Vorläufer des VNF-Prozesses, der den E-4 Prozess vereinfachte und beschleunigte.
Wie soll ich diesen Film nun entwickeln? Rohchemie für den Ansatz des E-4 Prozesses ist nicht nur teuer und schwer zu bekommen, sondern mit neun Bädern auch umfangreich und zudem sehr giftig. Das erste Bad, ein “Vorhärtebad”, besteht aus 38% Formaldehyd und soll die Emulsion härten, damit sie den Prozess überlebt. Im zweiten Schritt, dem “Neutralisierbad”, ensteht dadurch dann angeblich Tränengas… das muss ich nicht haben, nicht in mienem kleinen Kellerraum. Also Ärmel hoch gekrämpelt, einen Samstag geopfert und selbst experimentiert!

Im folgenden beschreibe ich, wie ich mich Schritt für Schritt einer Entwicklung angenähert habe, die den Film zu durchaus nutzbarem Material werden lässt. Vielleicht lassen sich einige Erkenntnisse auch auf andere Ablauffilme (wie z.B. die verwandte VNF-Serie oder den Ektachrome 160) übertragen, hier muss noch viel ausprobiert werden. Wer etwas rausfindet: Bitte melden!

Zunächst opferte ich also eine Rolle, legte sie in die Bolex H8 DS8 und begann sie im Garten bei Frühlingssonne zu belichten. Noch nicht wissend, um was für ein Material es sich handelt, alternierte ich bei der Belichtung zwischen 12, 25, 50 und 100 ASA. Sohn Kalle hielt dabei jeweils ein Pappschild mit der Belichtung in die Kamera.

Von dieser Rolle konnte ich mir nun jeweils einen Meter lange Streifen abschneiden und diese bequem in meiner Entwicklungsdose für Pocketfilme (Typ 110) entwickeln. Mit 30 solcher Teststreifen sollte ich doch zum Ziel kommen können!

Beginnen wir also mit E-6, die Chemie ist parat und angesetzt, und sie entlockt ja auch den VNF-Filmen ein ganz passables Bild. Da die Emulsion sich schon nach wenigen Sekunden unterm heissen Wasserhahn im ganzen vom Träger schieben lässt, beginnen wir mit 30° statt 38,5 °C. Aus dem Bauch heraus und etwas ungeduldig entscheide ich mich für 7’00, 7’00, 7’00 (also je 7 Minuten in Erstentwickler, Farbentwickler und Bleichfixierer). Einem Moviechrome entlcokt man damit definitiv farbige Bilder. Und so sah das Ergebnis dann aus:

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Das war etwas ernüchternd. Nur gegen helles Licht erkennt man blasse Konturen auf dunkelgrünem Träger. Vermutlich hätte ich aufgegeben, wäre da nicht dieses eine, helle Frame! Die Bolex lässt den Verschluss gelegentlich offen stehen, wenn die Feder abgelaufen ist. Hier habe ich also massiv überbelichtet, was mir zeigte, dass der Film nicht ganz blind sein kann!
Um die verbliebene Empfindlichkeit des alten Filmmaterials besser einschätzen zu können, schloss ich nun eine SW-Negativ-Entwicklung mit anschliessender Fixage an. Diese reduziert nur ein Silberbild. Benutzt habe ich hier Diafine, einen Zweibadentwickler mit sehr hoher Empfindlichkeitsausnutzung, der prinzipbedingt nur ausentwickelt. Ein Verschleiern durch Überentwicklung ist damit quasi nicht möglich. Das Ergebnis:

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Wieder sehr ernüchternd! Zwar sieht man ein paar mehr Bildspuren, aber auch heftigen Fog. Deutlich sehe ich, dass die mit 12 ASA belichteten Szenen am meisten Zeichnung haben. Mein bewährtetes Mittel gegen Fog auf alten Filmen ist ein sehr aktiv arbeitender Entwickler bei niedrigen Temepraturen, einige Isopan-Rolfilme aus Nachkriegszeiten habe ich schon mit für 3 Minuten im Hydrochinonbomber Kodak D-8 bei 5° gebadet und so hervorragend scanbare Negative bekommen. Es folgt also eine Verzweiflungstat, die als reine Bauchentscheidung und quasi “letzter Versuch” passierte: Ich ersetze den ach so prozessrelevanten Erstentwickler des E6-Prozesses einfach mal durch Dokumol 1+7, also SW-Papierentwickler, wie ich ihn auch für SW-Umkehrentwicklung verwende. Nach stolzen 10 Minuten ging es mit normalem E6 (Farbentwickler und Blix) weiter. Warum ich diese potente Soße auch noch auf 38° erhitzt habe, kann ich nicht mehr sagen — eventuell hat sich schlichtweg mein Wasserbad resettet. Das Ergebnis war aber bemerkenswert anders:

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Ein Bild! Farben! Und unterm Mikroskop erkenne ich sogar die “12” (ASA), die Kalle in die Luft hält. Wenn das ganze nur nicht so hell wäre, die Maximaldichten nicht ganz so ätherisch pastellfarben! Ich kann nicht recht glauben, dass mein geliebtes (und eigentlich völlig verkehrtes) Dokumol so viel mehr Bild hervorzaubert und mache noch mal eine Gegenprobe, falls ich mich doch in der Flasche vergriffen haben sollte. Wieder bei 38° probiere ich es nun mit 6’00 E6-Erstenwickler:

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Eindeutig: Der E6-Erstentwickler tut hier nicht gut, meine SW-Chemie ist besser. Nur vielleicht ein bisschen warm, die Schicht löst sich hier am Rand schon durch die Schwerkraft; berühre ich den Film, klebt mir alles in bunten Fetzen am Finger. Da das Ergebnis nach 10 Minuten Dokumol so viel zu hell war, probiere ich es mit 4 statt 10 Minuten Erstentwicklungszeit:

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Das sieht doch schon viel besser aus. Zwar kein knackiger Velvia, aber man beginnt, ein Bild zu erkennen. Die Projektion zeigt es deutlich, selbst im Scan kann man es erkennen: Die Emulsion ist retikuliert, also geschrumpft, es tanzen die “Orwo-Würmer”. Ich muss also dringend die Temperatur senken, versuchen wir es doch mal mit 32° statt 38,5°. Die niedrigere Temperatur kompensiere ich aus dem Bauch heraus durch eine Verlängerung des Dokumol-Erstentwicklers von 4 auf 10 Minuten:

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Das wird doch langsam! Die Lichter sind schon viel deutlicher zu sehen, die Schatten neutraler und weniger blau, sogar ein bisschen farbiger scheint es geworden zu sein. An dieser Stelle unterläuft mir ein Fehler, der mich ein paar Extrarunden kostet: Die Chemie war noch nicht auf 32° heruntergekühlt, sondern eher so auf 34-35°. Um mich einer idealen Erstentwicklungszeit ein bisschen anzunähern – also jene Zeit zu finden, in der vom Motiv möglichst viel entwickelt wird, der Grundschleier aber noch nicht zu arg wird – mache ich einen simplen Test: Ich nehme zwei Filmstreifen von je 30cm Länge, den einen bei Raumlicht durchbelichtet, den anderen komplett unbelichtet. Beide senke ich gemeinsam (bei völliger Dunkelheit) alle 30 Sekunden um 2cm weiter in meine Dokumolflasche, bis der unterste Abschnitt 7 Minuten im Entwickler war, der darüber 6’30, der oberste entsprechend nur 0’30. Anschliessend wird direkt fixiert.
Nebeneinander gelegt sehe ich, dass der durchbelichtete Film nach 2 Minuten nicht mehr dunkler wurde, der Fog auf dem unbelichteten Film aber schon nach 3 Minuten einsetzt. Ergo probiere ich es mit kritisch kurzen 2 Minuten Erstentwicklung bei 32°:

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In der Tat sind die Schatten deutlich schwärzer (also weniger Fog) und die Fenster erscheinen immer noch weiss, allerdings saufen mir die Zwischenwerte mehr ab. Zuversichtlich mache ich Abendbrotpause – währenddessen kühlt meine Chemie tatsächlich auf 32° ab, wodurch mein nächster Versuch (mit gleichen Zeiten 2’00, 6’00, 4’00) deutlich dunkler und magentastichiger wird als der vorige:

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Nach dem zwei Versuche mit 28° und längeren Zeiten nur flauer und dunkler wurden, machte ich wieder mit 32° weiter. Behandelt man den Film vorsichtig und wässert auch mit grob temperiertem Wasser, überlebt die Schicht das Bad, man sollte Remjet allerding entfernen, in dem man nur die Rückseite über ein feuchtes Schwammtuch zieht. Klemmt man den Film im Lappen ein, löst sich die Schicht fast schneller als die Rußgelatine (deren Menge sich zum Glück in Grenzen hält).
Mit 4’00 statt 2’00 wird das Bild heller, ohne die Schatten völlig zu zerstören:

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Die Farben sind allerdings noch unbefriedigend – worauf mir der Benzylalkohol einfällt, der im VNF-1 Prozess im Farbentwickler zum Einsatz kam, um die Ölgekapselten Farbkuppler dieser alten Emulsionen sauber zu “knacken”. Flugs 4 ml davon in meinen Liter Arbeitslösung eggeben, die Erstentwicklungszeit mutig von 4 auf 5’00 erhöht und mit 8’00 Farbentwicklung und 8’00 Bleichfix abgeschlossen:

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Wer sagt’s denn! Das sieht doch nach einem Material aus, dass man durchaus noch einsetzen kann, wenn man die eigenartige Entwicklung auf sich nehmen mag. Für gebuchte Hochzeiten würde ich es wohl nicht verwenden wollen, für ungeniertes Draufhalten im Alltag oder Experimantalfilme gefällt es mir aber ausgesprochen gut, vor allem projiziert hat es eine tolle Ästhetik, die mich sehr an jene korrekt entwickelter VNF-Filme erinnert (wie einst den Kodak 7240, den es ja auch in der S8-Kassette gab).

Leider ist das Wochenende nun zu Ende, aber ich bin mit diesem Ergebnis doch sehr zufrieden, daran hätte ich nach dem ersten Versuch nicht geglaubt. Sobald wieder etwas mehr Zeit ist, werde ich weiter experimentieren: So will ich wissen, wie 6 ASA statt 12 ASA aussehen und auch, ob ich mit Dokumol 1+3 oder gar D-8 noch etwas steilere Ergebnisse bekomme. Auch will ich den E6-Bleichfixierer auf EDTA-Basis durch eine Ferricyanidbleiche und getrennten Fixierer ersetzen, da sich die Leukofarbstoffe in diesen alten Prozessen erst in der oxidierenden Bleiche voll zu Farbstoffen umbauen… das könnte Dmax und Sättigung (vorallem des Grüns) noch mal positiv beeinflussen.

Spannend bleibt auch, was meine diversen alten VNF und E160 zu diesem Frankensteinprozess sagen werden — vielleicht tut er ihren Schatten gut? Auch einen Moviechrome will ich so baden. Die alten Emulsionen scheinen einen aktiveren Erstentwickler gut zu vertragen.

Drückt mir die Daumen, dass Hamburg 2015 genug Sonne hat, um 1200m S8-Film bei 6-12 ASA zu belichten. Ach und wenn nicht — nach ca. 45 Jahren Lagerzeit wird der ominöse SO-425 auch noch mal ein paar Jahre im Tiefkühler aushalten, oder?

Nachtrag: Heute habe ich die sporadische Sonne des Aprilwetters genutzt und bei der Arbeit eine ganze 30m Rolle mit “echten” Motiven verdreht; wir hatten Hochwasser am Hafen und es gab einige schöne Motive. Belichtet habe ich diesmal wie 5 ASA und statt 5’00 ganze 6’00 Minuten erstentwickelt. Die Ergebnisse sind jetzt perfekt belichtet. Diesen Film werde ich wohl mal abtasten lassen, um das Ergebnis teilen zu können.

Friedemann Wachsmuth

Schmalfilmer, Dunkelkammerad, Selbermacher, Zerleger, Reparierer und guter Freund des Assistenten Zufalls. Nimmt sich immer viel zu viele Projekte vor.

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