Als ich 2018 hier über meine Experimente mit Eastman Color Negative 7254 aus 1972 berichtete hätte ich mir nie träumen lassen, welch viel ältere Filmsorten ich, noch unbelichtet, finden würde. Immer wieder blickte ich auf zwei Eastman Transparent Film Röllchen aus 1893, die mir Ebay zum Schnäppchenpreis von über 1800 Euro pro Stück anzubieten versuchte.
Ich hätte ja schon aufgegeben, wenn da nicht plötzlich ein mir völlig unbekannter Verkäufer ein weiteres Röllchen im Angebot gehabt hätte. Ein Eastman Transparent Film mit Ablaufdatum 1. Jänner 1903, scheinbar noch unbenutzt und zu einem Preis, bei dem ich sofort zuschlagen musste. Selbst wenn dieser Film komplett kaputt gewesen wäre, billiger würde ich so einen wohl nie mehr bekommen. So begann eine lange Reihe von Experimenten, die ich hier ein wenig erläutern möchte.
Nachdem das Päckchen bei mir ankam packte ich es gespannt aus. Laut Expertenmeinung (mehr dazu später) hatten Filme damals eine Mindesthaltbardauer von rund einem Jahr, er wurde also wohl um 1902 verpackt, was ihn 2021 eben bereits 119 Jahre alt machte.
Ich startete mit meinen üblichen Schritten für Uralt-Material. Zuerst untersuchte ich den Film vorsichtig in der Dunkelkammer, die Rolle (ähnlich zu 120er Film, jedoch 8 anstatt 6cm breit) war noch original mittels Klebestreifen verschlossen. Ich war total überrascht, in welch gutem Zustand der Film rein äußerlich war.
Dann belichtete ich auf einem kleinen Probestreifen (wie mit Fotopapier) mit dem Vergrößerer eine Belichtungsreihe. In meiner Caffenol-für-Fotopapier-Mischung entwickelte ich auf Sicht (bei Rotlicht) und sah zu meiner Freude: Der Film lebte noch und brachte ein überraschend gutes Bild.
Einige Tage später probierte ich dann ein erstes echtes Testmotiv, von meinem Balkon aus auf die Hausdächer der Innenstadt, am Stativ, 3 Bilder mit 8 min, 16 min, 32 min Belichtungszeit. Ich wusste ja nicht, wie lange ich belichten sollte und so fand ich heraus, dass ISO 3 für damals ganz gut gepasst hatte. Wieder in meiner Caffenol-Mischung entwickelt fand ich auch eine Entwicklungsdauer von 50 Sekunden bei 20°C. Damit wusste ich nun sowohl eine passende Belichtungszeit (basierend auf ISO 3 + 12 Blenden länger für das Alter von fast 120 Jahren), als auch einen passenden Entwicklungsprozess in Caffenol in einer Fotoschale. Dass ich dabei jedoch falsch lag erfuhr ich erst später von den Experten. In der Zwischenzeit entwarf ich eine Schneidehilfe, die ich dann 3D-druckte, um damit den 8cm breiten Film auf 6cm (120er Format) zuschneiden zu können. Damit konnte ich leeres Papier eines aufgebrauchten 120er Films wiederverwenden. Darin machte ich gerade genug des alten Films für ein einzelnes Bild fest. Das würde die extra Herausforderung darstellen, EIN Foto, EIN Versuch, es musste sofort klappen!
Eine Woche später, am 27.02.2021 gegen Mittag fuhr ich mit meiner Lubitel Mittelformatkamera, einem Stativ, einem Drahtauslöser, der Filmrolle und einem Belichtungsmesser zu meinem Motiv los. Mit gemessenen 1/15s bei f5/6 und ISO 3 und 12 Blenden dazu für das Alter kam ich auf 4 min Belichtungszeit.
Dann kam mir die Idee, ich könnte doch einfach schnell ins Bild rennen und mich dort irgendwo möglichst unbewegt hinstellen. Ich könnte so tun, als würde ich dort einfach nur stehen und auf meinem Smartphone etwas lesen, tatsächlich könnte ich so aber die Stoppuhr genau beobachten. Zudem würde meine Anwesenheit etwas Modernes in das Bild bringen, das ansonsten rein optisch auch aus der damaligen Zeit hätte stammen können. So drückte ich den Drahtauslöser, startete die Stoppuhr am Smartphone, rannte an die gewünschte Stelle im Bild und schaute ganz einfach nach unten auf das Display. 4 min waren eine lange Zeit wenn man sich nicht bewegen durfte und es half auch nicht, mitten auf einer Straße zu stehen und zu hoffen, dass wohl gerade niemand dort fahren wollte. Nach 3:45 min rannte ich zurück zur Kamera um sie nach exakt 4 min Belichtungszeit wieder zu stoppen.
Aus Interesse entwickelte ich den Film aber ohne ihn gleich zu fixieren. Während des Trocknens sah er wie oben im Bild gezeigt aus, undurchsichtig und wie ein braunes Fotopapier. Der spätere Scan enthüllte dann das Ergebnis im Bild unten.
Ich war total begeistert… andere scheinbar auch, denn dieses Bild wurde bei der Fotobiennale 2022 in einer Galerie ausgestellt, nach Ende der Biennale erneut als eines der wenigen „Wanderbilder“ auserwählt, die nun über die nächsten Jahre in stets anderen Nachbarländern Österreichs ausgestellt werden sollen.
Ich war nun motiviert, weiter zu experimentieren. Doch verwunderte mich die Tatsache, dass ich ein positives Bild in Negativchemie erzeugte. Um diese und andere Fragen zu beantworten trat ich mit zwei Experten des Analogfilms in Kontakt.
Brian Pritchard, ehemaliger Kodak Ingenieur in Großbritannien, heute „Motion Picture Consultant“. Er schrieb das wunderbare Buch „How Film Were Made & Shown“, mit Fokus auf UK aber trotzdem voller faszinierender Informationen über den Rest der Welt.
Und dann natürlich Bob Shanebrook, vielen sicher bekannt als der Autor des grandiosen „Making Kodak Film“ Buchs. Er war 35 Jahre lang bis 2003 bei Kodak in Rochester tätig, als „industrial photographer“, als Forscher, als „product development engineer“, als „manufacturing manager“, als „company spokesman for Professional Films“ und schlussendlich für mehr als 20 Jahre auch als der „Worldwide Product-Line Manager for Kodak Professional Films“. Nebenbei arbeitete er an Kameras die im Zuge des Apollo Programms auf der Mondoberfläche genutzt wurden. Ich muss zugeben, dass es eine große Ehre war, mich mit einer so faszinierenden Person austauschen zu dürfen.
Ich fragte beide Experte zunächst, wieso mein Bild in Negativchemie zum Positiv wurde. Brian mutmaßte, dass „der Film aufgrund von massiver Überbelichtung solarisiert wurde“ und empfahl mit ISO 3 zu belichten, so wie es ja tat, nur ohne 12 Blenden mehr für das Alter von fast 120 Jahren. Auch Bob vermutete, dass „die Überbelichtung Solarisation hervorrufe, was zu positiven Bildern führte“. Zudem fügte er hinzu, dass es „sehr wenige Details zur Sensitometrie oder den Herstellungsgepflogenheiten aus dieser Zeit gibt“ und er annahm, dass „Film zu dieser Zeit ungefähr ein Jahr in die Zukunft datiert war“, was auf ein wahrscheinliches Herstellungsjahr von 1902 hindeutete und meinen Film 2021 eben rund 119 Jahre alt machte.
Doch ich hatte noch weitere Fragen und hakte bei Herrn Shanebrook nach: Wieso hatte ich den Film massiv überbelichtet, wo doch normalerweise die Daumenregel von einer Blende mehr pro Dekade Alter zu belichten (auch in meinen langjährigen Erfahrungen mit Uralt-Filmen) sehr, sehr gut klappte? „Diese alten Emulsionen waren recht einfach aufgebaut. Das waren Silberhalogenide, sensibilisiert, und ein wenig Sulfid, das seinen Weg in das Rohmaterial (Gelatine) fand.“, antwortete Bob, „Es war definitiv nicht gesteuert. Der Film hatte vielleicht eine oder zwei Blenden Empfindlichkeit verloren, aber die ursprüngliche Empfindlichkeit der Silberhalogenide blieb bestehen.“. Zudem erläuterte er, dass „solche Emulsionen bei extremer Belichtung mehrere Solarisationszyklen durchschritten. Jeder weitere Zyklus hatte eine höheres dmin und ein niedrigeres dmax bis der Signal-to-noise-ratio Null erreichte“. Die vorher genannte Daumenregel mit einer Blende Empfindlichkeitsverlust pro Dekade konnte also bei solch alten Filmen nicht angewandt werden. Das lag daran, dass die Regel „annimmt, dass die Filmzutaten verfallen. Das mag für Zutaten, die Mitte des 20. Jahrhunderts verwendet wurden, stimmen, die Materialien des frühen 20. Jahrhunderts aber änderten die Empfindlichkeit nicht“, antwortete Bob. Dann schickte er mir noch einen Artikel über die Kamera, die er für Apollo mitentwickelte. Wunderbar!
In der Zwischenzeit begann ich mir Gedanken darüber zu machen wie ich möglichst viele weitere Experimente ausführen konnte, ohne den restlichen Film zu schnell aufzubrauchen. Kleinere Filmformate waren die offensichtliche Lösung, so entwarf ich wieder eine 3D-gedruckte Schneidehilfe für 2 Bilder auf 35mm Film, montierte den Nitrofilm und machte mich mit der 35mm Kamera auf den Weg.
Da gab es aber leider diverse Probleme, unter anderem überlappende Aufnahmen, sowie total miese Planlage und daher unscharfe Bilder – abgehakt, war wohl nix, weiter zum nächsten Format… 110!
Ich bastelte mir also wieder eine Schneidehilfe und schnitt genug für vier 110er Bilder zurecht. Das Einrollen des Films in das Schwarzpapier und Beladen der Patrone waren beides recht fummelige Schritte – kein Spaß und mühsam bei schwachem Rotlicht. Irgendwie klemmte dann auch die Patrone und sprang später sogar auf. Der Film war aufgrund seines starken Dralls in alle Richtungen wohl auf der Schneideunterlage leicht verrutscht. Er war nun 1-2 mm zu hoch und drückte daher die Patrone auf.
Kein Problem, einfach noch einmal nachschneiden, oder? Leichter gesagt als getan, der Filmdrall war kaum zu bändigen, schiefe Schnitte die Folge. Nun war ich endgültig entnervt und hatte genug, es würde für Tests wohl reichen, wer weiß, ob es überhaupt klappte, mit so einem winzigen Format und dem irren Filmdrall. Leider war das Wetter an diesem Wochenende recht mies, eiskalt, dunkel und dann kam noch leichter Schneefall, nicht die besten Bedingungen.
Doch immerhin war ich mit dem 110er Filmformat nun extrem sparsam unterwegs, um noch länger was von diesem seltenen Film zu haben. Die Minolta hatte im Gegensatz zur Lubitel eine Zoomlinse und sogar eine Markoeinstellung. Das Filmtrocknen ging viel schneller und auch das Scannen klappte ganz gut.
In der Zwischenzeit hatte ich mir eine bessere Schneidehilfe gebaut, dank dessen, was ich beim letzten Mal dazulernte. Damit klappte dann das zweite Selbstportrait bei einer kleinen Brücke mitten im Wald.
Als nächstes und vorerst letztes Experiment plante ich etwas, mit dem ich mich schon seit Jahren mit anderen Filmen beschäftigte, Trichromie, schwarz-weiß Film durch R, G und B Filter geschossen und dann zusammengefügt, um farbige Bilder zu erzeugen. Neu war für mich nun jedoch der Gedanke, es auch einmal auf Nitrofilm zu probieren. Zum Einsatz sollte wieder die 110er Minolta kommen, das Problem war aber nun, dass ich dreimal die Farbfilter vor der Linse ändern und die Kamera händisch aufziehen musste, was die Kamera oder das Stativ verrücken würde, was wiederum zu Problemen beim korrekten Überlappen der drei Bilder führen würde.
Darum entwarf und 3D-druckte ich mir einige weitere Helferlein. Eine Schnellwechselplatte mit trapezförmigen Verbindungsstücken, durch die ich die Kamera ganz einfach nach oben hin hochheben konnte, ohne das Stativ zu verrücken, die aber die Kamera dank der Trapeze immer wieder gleich positionieren würde, die Stifte würden sie hin zur richtigen Position führen. Und dazu das passende Gegenstück, das im Stativ eingeklemmt werden konnte. Die Kamera war nur durch die Schwerkraft mit dem Stativ verbunden, ich musste also vorsichtig sein, das Stativ nicht umzustoßen.
Für die Linse konstruierte ich einen Filterhalter mit doppelseitigem Klebeband, über den ich schnell R, G und B austauschen konnte. Mit diesem Aufbau schoss ich dann ein RGB Testbild.
Doch leider bewahrheitete sich, was ich zuvor schon befürchtet hatte. Dieser Film war keineswegs panchromatisch, während er Blau stark zeichnete, war er für Rot praktisch blind. Das Ergebnis hatte ein klein wenig Farbe, war aber doch recht enttäuschend.
An diesem Punkt stoppte ich mit weiteren Experimenten und widmete mich wieder moderneren Filmen. Auch wenn die finalen Ergebnisse hinter meinen Erwartungen zurück blieben konnte ich mich ein Jahr später erneut freuen, als das ursprüngliche 120er Foto für die Biennale auserwählt wurde. Ein vergrößerter Scan davon wird nun die Nachbarländer Österreichs bereisen.
Dieses eine Röllchen Eastman Transparent Film hatte mir viele spannende Stunden bereitet, ein paar gute Fotos beschert und mir die Chance gegeben, mich mit faszinierenden Filmexperten auszutauschen. Was will man mehr von einem Zufallsfund von Ebay?
Related Posts