Eine Liebesbeziehung mit Super-8, mit ihrem Wohnviertel und miteinander: Seit einem guten Jahrzehnt betreiben Paolo Davanzo und Lisa Marr den Echo Park Film Center in Los Angeles, eine kleine Filmwerkstätte mit Programmkino in Los Angeles. Hier wachsen die Jugendlichen aus dem Migrantenviertel Echo Park zu einer neuen Generation von Super 8- und 16mm-Filmemachern heran. Und mit dem „Filmmobile“ erschließen Paolo und Lisa neue Filmer-Welten. Ein Gespräch.
Wie lehrt ihr Super 8 und 16mm?
Lisa: Seitdem es den Echo Park Film Center gibt, bieten wir Teenagern unseres Wohnviertels Gratiskurse an. Das technische Equipment, die Betreuung und alles nötige Drumherum ist kostenlos. Super-8 ist ein fantastisches Lernmittel, weil es sie zwingt, genau über ihr Handwerk, ihre Kunst und ihre Ideen nachzudenken. Es ist nicht diese
sofort-fertig-Kultur, an die wir uns so gewöhnt haben. Einige unser Schüler verlieben sich in Film und bleiben dabei den Rest ihres Lebens. Für andere ist er nur ein Zwischenschritt zu etwas anderem. Aber alles, was sie in diesem Prozess gewinnen, hilft ihnen später bei dem, was sie tun: Disziplin, Fantasie, Planen, das Taktile. Es ist immer wieder toll zu sehen, wie sich diese jungen Köpfe in die Form des Super 8-Films und 16mm-Films einklinken.
Paolo: Bei dem, was wir tun, geht es nicht bloß ums Produkt, sondern um den Weg dahin. Wir veranstalten Gruppentreffen mit all den Familien und Nachbarn. Am Ende zeigen wir dann den Film, der entstanden ist. Jeder bringt Essen mit. Und es sind so viele verschiedene Kulturen, Leute aus El Salvador, aus Mexico, Vietnam, die ihre traditionellen Gerichte mitbringen. Wir teilen alles, sehen uns den Film an, und so ensteht etwas soziales.
Hattet ihr schon vor dem Film Center mit Super 8 gearbeitet?
Paolo: Mein Vater war ein unersättlicher Super 8ler. Als Kind sah ich seine Filme und wuchs mit der Schönheit dieses Mediums auf. Meine erste eigene Kamera kaufte ich aber erst mit achtzehn aus zweiter Hand, eine Eumig. Ein freundlicher persischer Gentleman aus Los Angeles verkaufte sie in makellosem Zustand, originalverpackt und vielleicht einmal gelaufen. Da war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Super 8 nicht mehr nur sehen, sondern auch selbst drehen wollte. Mittlerweile tue ich das 22 Jahre lang.
Lisa: Er machte Filme, ich Musik. Mit einer Punkband tourte ich damals durch ganz Nordamerika. Und so lernten wir uns kennen, und unsere zwei
Do-it-yourself-Ästhetiken brachten ein neues Projekt hervor, den Echo Park Film Center.
Punk und Super 8 sind wirklich ein Paar, stimmt’s?
Lisa: Definitiv. Als Dagie Brundert zum erstenmal meine Musik von damals – aus den mittleren 90er Jahren – hörte, sagte sie gleich: „Das ist Super 8-Sound“. Wie ein Super 8-Film, nur als Song. Weil es dieses handgemachte, Handkamera-artige hat. Jeder kann mitmachen, Teil davon werden und sich dafür begeistern.
Paolo: Man erteilt seiner Kreativität selbst die Erlaubnis, wenn man eine Super 8-Kamera in die Hand nimmt und, bumm, einen Film macht. Bei Punk hat man eine Gitarre, kennt drei Akkorde und macht ein Lied. Man braucht keine professionelle Bühne oder ein Filmfestival, das einem den Segen erteilt.
Wenn man aber nur schnell etwas drehen will, würde man heute eine billige Videokamera nehmen. Ist Super 8 dadurch handwerklicher und exklusiver geworden?
Lisa: Wir möchten es noch immer Punkästhetik sein lassen. Wir wollen nicht, dass es zur exklusiv-erlesenen Kunstform wird, sondern im alltäglichen Gebrauch bleibt. Darum bringen wir es unseren Schülern und Nachbarn bei, darum projizieren wir es so häufig wie möglich – um zu zeigen, dass es immer noch eine lebendige Kunstform ist. Aber es stimmt schon: als das, was jeder hat und dein Opa und kleiner Bruder nutzen kann, ist Digitaltechnik das Super 8 von heute. Und doch glauben wir, dass Super 8 etwas einzigartiges, nicht ersetzbares hat. Es gibt überall diese Rückbesinnung aufs Handwerkliche, auf handgemachte Dinge, an denen man gemeinsam arbeitet. Die Leute hungern danach. Es ist wie eine Kirche für unsere Generation, etwas, das Leute versammelt und sie feiern lässt, woran man zusammen glaubt. Diese Gemeinschaftsbildung hat es so vielleicht früher nicht gegeben.
Paolo: Wenn bei uns im Film Center ein Kind ist, das noch überhaupt keine Vorstellung davon hat, wie bewegte Bilder funktionieren, und ihm dabei zuzusehen, wie es den Filmstreifen berührt, befühlt und sogar daran leckt – das ist die magische Körperlichkeit dieses Mediums.
Lisa: Unsere Schüler sind davon richtig begeistert. Man hört dann Sätze wie: „Das echter für mich, das ist stärker, das bedeutet mehr“. Und dann haben sie das echte Verlangen, dieses Handwerk weiter zu erkunden.
Workshopfilm aus dem Echo Park Film Center: West Coast Noise von Felix Martinez
Einerseits arbeitet ihr soziokulturell, andererseits seit ihr international als Werkstätte experimenteller Filmemacher bekannt. Wie gut verträgt sich beides?
Paolo: Für mich gibt es da mehr Verbindungen als Trennendes. Mit unserem Gastprogramm laden wir bekannte Filmkünstler aus der ganzen Welt ein, darunter den Experimentalfilmer Roger Bebe, Dagie Brundert, den englischen Trickfilm-Könner Joff Winterheart und Elena Pardo, eine fantastische Super 8-Filmemacherin aus Mexico City. Sie kommen und arbeiten an Filmen bei uns. Und finden es inspirierend, dabei eine neue Generation zu sehen, die sich diese Werkzeuge aneignet. Und die Kids, die denken: Wow, das ist ein Erwachsener, der das professionell tut, als Beruf, und der gut ist. Sie lernen von den Gästen, Fertigkeiten und Praxiserfahrung…
Lisa: Wahrscheinlich sind wir eines der wenigen Programmkinos, das Leute aus allen Gesellschaftsschichten zum Kommen und Mitmachen einlädt. Die meisten anderen richten sich an ein studentisches Publikum, eine Art Intelligenzia. Bei uns jedoch sitzt man neben dem Geistlichen von der nächsten Straßenecke, einem Punk-Teenager oder der Mutter von jemandem. Es kamen sogar Leute vorbei, die uns ins Gesicht sagten: „Als Ihr damals in dieses Viertel kamt, paßte das mir überhaupt nicht – wer sind diese Weißen mit ihrem tollen Kunstzentrum? Aber jetzt, wo mein Sohn oder meine Tochter bei Euch ist, verstehe ich es, und ich bin hier, weil es mich interessiert oder etwas läuft, in dem es wirklich um unsere Gemeinschaft hier geht“.
Paolo: Im nächsten Filmkurs, der in ein paar Wochen beginnt, sind alle vier Dozenten ehemalige Schüler von uns. Das ist ein fantastisches Sozial- und Bildungsmodell. Einige unserer Kids studieren nun an sehr angesehenen Kunsthochschulen. Wer weiß, vielleicht stehen sie in zehn Jahren an der Spitze von Warner Brothers, aber darum geht es uns nicht.
Widerspricht es sich nicht, wenn ihr Super 8 einerseits als do-it-yourself-Medium begreift, es aber andererseits unterrichtet?
Paolo: „Unterrichten“ muß man ein bißchen relativieren. Außerdem gibt es für uns eine starke Verbindung zwischen 16mm und Super 8. Wir haben einen Stadtsymphonie-Film gedreht, sehr sauber, auf 16mm-Negativmaterial…
Lisa: Wir wollten auch filmhistorisches Wissen vermitteln und haben eine Reihe früher Stadtsymphonie-Filme gezeigt, Filme wie Joris Iven’s „Regen“, Walter Ruttmanns Berlin-Film…
Paolo: „Manhattan“…
Lisa: …und andere. Wir schickten die Jugendlichen raus, um eine 24-Stunden-Meditation über Los Angeles zu filmen. Die 48 Schüler arbeiteten in Zweiergruppen, die jeweils eine der 24 Stunden des Tags drehen mußten. Dafür erhielten sie zwei Rollen schwarzweißen 16mm-Film. Sie mußten einen Teil der Stadt wählen, der für sie L.A. zu dieser Tageszeit repräsentiert. Im Schnitt wurde jede Stunde zu einer Minute verdichtet, so daß ein 24minütiger Stummfilm entstand. Ein lokales Experimental-Ensemble spielte dazu eine Live-Filmmusik. Die Premiere fand in einem großen Kino in Downtown Los Angeles statt. Es war ein magisches Ereignis.
Wie finanziert Ihr den Film Center?
Paolo: Die meisten unserer Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich. Trotzdem haben wir von Anfang an Dozenten, Filmemacher und Gastkünstler bezahlt. In den USA finanzieren sich Initiativen wie unsere hauptsächlich aus Spenden von privaten Stiftungen. Die sind gesetzlich dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Gelder an gemeinnützige Vereine zu geben. Wir werden auch aus Steuergeldern gefördert, aber nur zu einem kleinen Teil, vielleicht zehn Prozent. Dann verleihen und reparieren wir Film- und Videotechnik. Damit verdienen wir vielleicht zwanzig Prozent unseres Budgets. Nochmals zwanzig Prozent kommen durch die Eintrittsgelder für unsere Kinoabende herein, obwohl der Eintritt für Kinder und Senioren frei ist.
Ist das Spendeneintreiben für Euch nicht ein ständiger Kampf?
Paolo: Anfangs ja, weil wir keinen Pfennig besaßen und ständig schnorren mußten. Mittlerweile haben wir uns jedoch einen Namen in Los Angeles gemacht und werden anerkannt für das, was hier wir auf die Beine zu stellen versuchen. Schritt für Schritt sind daher mehr Gelder geflossen. Nie viel, aber immer genug.
Ihr betreibt außerdem noch das „Filmmobile“. Um über den angestammten Ort hinaus zu wirken?
Paolo: Ja. Das Filmmobile verbindet unsere Wünsche und Leidenschaften. Die Idee stammte von Lisa. Sie fand damals: Wir machen unser Ding, und wir können noch mehr Leute in anderen Vierteln erreichen, warum nicht umherziehen?
Lisa: Als wir den Film Center eröffneten, kamen alle unsere Schüler aus den Häuserblöcken nebenan. Jetzt haben wir auch Kids aus völlig anderen Gegenden von Los Angeles, die zwei Stunden im Bus sitzen, um zu uns zu kommen. Doch das ist nicht, worum es uns geht, sondern um community filmmaking – Filmemachen der Leute vor Ort. Der Bus dient diesem Zweck. Einige der Workshop, die wir mit dem Bus geben, dauern buchstäblich eine Stunde, zum Beispiel die Direktanimation. Wir nehmen uns einen Picknicktisch draußen im Park, spannen einen langen Filmstreifen auf, alle Teilnehmer bearbeiten ihn, und eine Stunde später sehen wir ihn an. Das ist der wahrscheinlich schnellste Workshop, den wir anbieten.
Wie funktioniert der Bus technisch?
Paolo: Er ist ungefähr sieben Meter lang, was zwar nicht gigantisch, aber immer noch groß ist. Wir haben alle Sitze herausgerissen. Ein Freund von uns ist Tischler und hat ihn schön eingerichtet. Mit einer kleinen Gruppe können wir direkt im Bus arbeiten. Mit größeren Gruppen, was die Regel ist, weichen wir ins nächste freie Klassenzimmer, den Keller einer Kirche oder Nachmittagsbetreuungsräume aus. Wir kaufen gerade einen zweiten Bus an, der ein Selbstentwickel-Labor auf Rädern werden soll. Dann können wir mit dem Filmmobile fürs Unterrichten und dem Laborbus zusammen anfahren. Unsere Schüler können herumlaufen, Super 8 filmen und dann in diesen lichtdichten Bus gehen, um den Film zu entwickeln und noch am selben Tag anzusehen.
Lisa: Wir setzen den Bus außerdem für eine Reihe von Filmvorführungen ein, in der wir Filme dort zeigen, wo sie ursprünglich gedreht wurden. Wir parken den Bus dann irgendwo, holen die Leinwand heraus und befestigen sie an seiner Außenwand, bauen einen Projektor auf und lassen den Film laufen.
Paolo: Einmal haben wir ein Guerilla-Screening auf dem Hollywood Boulevard gemacht. Im Herzen der Hollywood-Maschine, um sie wieder in Besitz zu nehmen. Wir projizierten aus dem Bus, während die Leute vorbeiliefen – ein eindrucksvoller Moment.
Zum Schluss: Was sind Eure Lieblings-Super 8-Kameras?
Paolo: Ich bin durch verschiedene Lebensphasen gegangen: die Eumig war wie die erste Freundin, in die man sich verliebt und immer ein bisschen verliebt bleibt; so wie der erste Kuß. Doch danach kam die Canon-Besessenheit, und heute arbeiten wir vor allem mit Nizo-Kameras.
Lisa: Ja, Nizo. Für mich dreht sich alles um die Nizo 480, die kleine mit der „B“-Funktion.
Interview: Florian Cramer, Fotos: Florian Cramer & Paolo Davanzo
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