Der Mensch und das Meer: Baudelaireverfilmung in der Bretagne

Der Mensch und das Meer: Baudelaireverfilmung in der Bretagne

Seit meiner Kindheit fasziniert mich das Meer: Der weite Blick ins schier Unendliche, voller Spiegelungen, wild und voller Leben. Keine Menschenseele lässt es unberührt, jeder scheint darin auch einen Teil von sich zu erkennen. Herman Melville bot es die Bühne für wahnsinnig gewordene amerikanische Träume in Gestalt eines Kapitän Ahab, Dichter wie Chateaubriand sahen darin ein „philosophisches Gemälde“. Von Letztgenanntem verfilmte ich 2010 das Gedicht La Mer in der Bretagne, und verliebte mich zum ersten Mal in diese unwirkliche, wilde und scheinbar unberührte Natur, die man dort vorfindet. Acht Jahre später reiste ich ein zweites Mal dahin, diesmal in die südliche Gegend um Quiberon. Dort suchte ich nach einem neuen Filmstoff und wollte dabei zugleich neue Wege einschlagen. 

Meine Stimmung war jedoch sehr getrübt. Björn Last, ein befreundeter Filmemacher, war kurz vorher in jungen Jahren gestorben. Er war eine Art Mentor für mich, mit dem ich vor 15 Jahren das echte Kino entdeckte, vor allem das des alle Grenzen sprengenden Experimentalfilms. Seine eigenen, kraftvollen und unkonventionellen Kurz- und Langfilme waren für mich nichts weniger als das Leben und das Kino selbst. Als ich 2008 meine ersten filmischen Gehversuche wagte, ermutigte er mich massiv und zeigte und besprach Filme von mir in seiner Hamburger Fernsehsendung. Man kann sagen: Ohne seinen Mut, den er mir in einem Meer von Selbstzweifel immer wieder gemacht hatte, hätte ich wohl keine Filme gemacht. Als ich sah, dass er mir in einem seiner letzten Filme gedankt hatte, wollte ich dies, wenngleich posthum erwidern und für ihn einen kleinen Film drehen. Mit großer, handgeschriebener Widmung zu Beginn des Films, wie das der alte Jean-Marie Straub immer wieder getan hat. 

Bei der Recherche stieß ich auf Baudelaires Gedicht L‘homme et la mer (Der Mensch und das Meer). Für den Dichter wird das Meer darin zum Spiegel des Menschen und immer auch: seiner selbst. Diese Art der reflektierenden Naturpoesie war damals bahnbrechend: Bereits in L‘Albatros zeigte er einen Vogel als König der Lüfte, der aber gefangen an Land im Alltag der Menschen flugunfähig und ihrem beißenden Spott ausgesetzt ist. Eindringlich erzählt er somit etwas über das Spannungsfeld des Künstlers zwischen Kunst und Broterwerb.

Wie üblich schrieb ich das Gedicht mit Tinte und Füller ab und rezitierte es immer wieder, bis ich es auswendig kannte. Das ist für mich wichtig, da man dann erst ein Gefühl für Rhythmus bekommt. Baudelaires Poesie gehört nicht von ungefähr zur Schönsten in französischer Sprache: die Worte sind sehr musikalisch. Aber auch gibt er dem Geist Raum für unzählige Assoziationen, die später beim Filmen unerlässlich sind. Das kleine „Drehbuch“ versah ich mit zahlreichen Randbemerkungen, welche Schwenks, Übergänge, Kontraste oder ruhige Momente notwendig sind.

Nun ging es an die Dreharbeiten. Ich filmte mit der Logmar, jenem wagemutig konstruierten Super-8-Wunderwerk, das zwei dänische Erfinder vor ein paar Jahren in begrenzter Stückzahl als Beta-Version auf den Markt brachten. Kongenial lösten sie das Hauptproblem der bisherigen Super-8-Kameras: die fehlende Andruckplatte! Die Kamera leitete den Film mit einer Schlaufe aus der Kassette heraus und führte ihn in eine echte Andruckplatte, was bislang unerreichte Schärfe erlaubt.

Die Bretagne im Mai war wild und ungestüm wie immer und bot alle möglichen Wettersituationen: Schönster Sonnenschein konnte schon Minuten später in Blitz und Donner wechseln. Die Natur schien grenzenlos aufgeregt, endlich in meinem kleinen Film die Hauptrolle spielen zu können.


Ich suchte deshalb rauhe Gestade wie die Insel Belle-Île auf, auf der schon Claude Monet so von den Klippen fasziniert war, dass er viele Jahre dort verbrachte, um sie zu malen. Aber auch im Morbihan fand ich auf einer Austernfarm mysteriöse Reflexionen rostiger Gitter, die ich sehr mochte. Von 8 Bildern pro Sekunde bis 48 Bildern pro Sekunde fing ich so die einzelnen Szenen auf abgelaufenem, in Super 8 konfektioniertem Fuji Velvia der Marke Cinevia ein. Beim Drehen von Naturaufnahmen braucht man vor allem eins: Geduld! Am besten, man stellt die Kamera sicher auf, kadriert den Bildausschnitt und wartet. Am Anfang passiert meist nichts. Irgendwann beginnt aber alles zu leben: Wellen peitschen ungebremst, Vögel fliegen und die Sonne taucht Düsternis in magisches Licht. Ich mag diese Verwandlung sehr, Richard Wagner hätte sicher die eine oder andere, opernhafte „Verwandlungsmusik“ dazu ersonnen.

Mit vier randvollen Filmkassetten kehrte ich anschließend nach Hause zurück und ging an die Entwicklung des nun unschätzbar wertvollen, weil belichteten, Materials. Was folgte, ist für mich nahezu Alchemie. Wie Böttger damals Gold herstellen sollte, aber letztlich Porzellan erfand, gleicht es einem Wunder, wie man die dünne Silberschicht in Bilder umwandeln kann, die Jahrhunderte überdauern. Das Handwerkszeug dazu hatte ich bei der Berliner Filmkünstlerin Dagie Brundert gelernt, deren Begeisterung für den Film wie auch ihre ansteckende Lebensfreude grenzenlos ist.

Das Material auf der Trockenhilfe zu sehen, funkelnder, bunter Farbumkehrfilm, der wie hunderte kleine Edelsteine funkelt, macht glücklich. Für mich ist dieser Teil, wenn man das belichtete Material zum ersten Mal sieht, noch immer das Schönste am Filmemachen.

Ich erstellte mit CIR Catozzo-Klebepresse nun einen Rohschnitt, bei dem ca. 15% der Szenen der Schere zum Opfer fielen. Das ist ganz normal und ein gutes Drehverhältnis. Bei digitalen Produktionen fällt es hingegen meist viel schlechter aus, da keine Filmmaterialkosten zu Buche schlagen und man voller Eifer stundenlang filmt, was in der Postproduktion schnell zum Nachteil gereichen kann. 

Das Material gab ich dann zu meinem Freund José Luis Sanz nach Madrid, der fast alle meine Filme in die digitale Welt transferiert hat, diesmal wieder in 4K. Obwohl Super 8 eigentlich nicht genug Informationen für 4K-Auflösung besitzt, ist das in der Postproduktion dennoch sinnvoll, weil man so jedes Korn bewahrt und darstellen kann.

Da der ganze Film eine Herzensangelegenheit war, sprach ich den Text diesmal selbst ein. Die Montage erfolgte wie immer in Final Cut Pro X. Eine kleine Firma in Italien erstellte anschließend aus dem digitalen Intermediate einen 16mm Filmtransfer mit Lichtton. 

Anschließend trat der Film seine Reise zu den Filmfestivals an: beim New York International Films Infest Festival wurde er als Finalist in New York gezeigt, beim 27th Artifact Small Format Film Festival in Kanada und den 20. Dresdner Schmalfilmtagen lief er sogar als analoge Filmprojektion.

1 Kommentar bisher

Markus Hack Veröffentlicht am08:22 - 3. Mai 2019

Ein wunderbares Bespiel von Kunstfertigkeit und Beherrschung der Technik.

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